Wansleben am See

14. März 1944 – 12. April 1945

Das Lager

Im Frühjahr 1944 beschlagnahmte die SS zwei ehemalige Kalibergbau-Schachtanlagen nahe der Ortschaft Wansleben am See, rund 20 Kilometer westlich von Halle (Saale). In den Schächten „Georgi“ und „Neumansfeld“ sollten unterirdische Fabriken für die Rüstungsproduktion entstehen, unter anderem für die Christian Mansfeld GmbH aus Leipzig, die Flugzeugteile fertigte. Das Untertageverlagerungsvorhaben trug die Bezeichnung „A 6“. Wie bei ähnlichen Bauprojekten setzte die SS auch in Wansleben KZ-Häftlinge als Arbeitskräfte ein. Die ab März 1944 eintreffenden Männer verteilten sich auf zwei Standorte. Ein größeres Lager entstand auf dem Gelände des Georgi-Schachtes am östlichen Ortsrand. Hier war der Großteil der Häftlinge in ehemaligen, mehrstöckigen Verwaltungsgebäuden und einigen Baracken untergebracht – das gesamte Areal umgeben von einem Stacheldrahtzaun und einigen Wachtürmen. Ein kleineres Lager ließ die SS am Schacht Neumansfeld, rund zwei Kilometer nördlich des Ortskerns, einrichten. Einige Gebäude dienten hier als Unterkünfte. Die Buchenwalder SS führte das Lager in Wansleben unter verschiedenen Tarnnamen: „Wilhelm“, „A 6“ und „Biber II“.

Die Häftlinge

Die ersten 300 Häftlinge verließen am 13. März 1944 Buchenwald in Richtung Wansleben am See. Die Lagerbelegung wuchs in den folgenden Monaten durch Häftlingsüberstellungen aus Buchenwald und den Konzentrationslagern Flossenbürg, Sachsenhausen, Neuengamme, Auschwitz und den Buchenwalder Außenlagern Leipzig-Engelsdorf und Leipzig-Thekla. Vielfach waren es Häftlinge, die bereits zuvor in der Flugzeugproduktion hatten arbeiten müssen und entsprechend als Facharbeiter galten. Mitte Januar 1945 erreichte das Lager mit über 1.900 Häftlingen seinen Höchststand, den es bis zur Räumung beibehielt. Bei den Häftlingen handelte es sich fast ausschließlich um als politische Häftlinge eingestufte Männer. Größere Gruppen unter ihnen stammten aus Polen, der Sowjetunion und Frankreich, weitere aus der Tschechoslowakei, Belgien, den Niederlanden, Jugoslawien, dem damaligen Deutschen Reich und vielen weiteren Ländern. Als Lagerältesten setzte die SS den 54-jährigen Johann Schulenburg, einen langjährigen politischen Häftling aus Hamm in Westfalen, ein.

„Das Salz setzte sich auf der Haut ab, es schmolz dort, dieses Salz, löste sich auf. Es bildeten sich Geschwüre, Schorf – das war sehr, sehr schwer und schrecklich.“
Orest W. Dwornikow
Zum Erinnerungsbericht

Zwangsarbeit

Die Häftlinge wurden in unterschiedlichen Arbeitskommandos eingesetzt. Sie arbeiteten für den SS-Führungsstab A 6 und verschiedene Rüstungsfirmen. Zum einen war dies körperliche Schwerstarbeit untertage für den Ausbau der Kalischächte und der Vorbereitung der Anlagen für die Produktion. Zum anderen handelte es sich um Arbeit in der Herstellung von Rüstungsgütern, vor allem von Flugzeugteilen. Die Fertigung im Georgi-Schacht begann vermutlich Ende Juli 1944. Betreiber der unterirdischen Fabrik war eine sogenannte Kriegsbetriebsgemeinschaft, an der sich verschiedene Rüstungsunternehmen beteiligten, unter anderem die Christian Mansfeld GmbH aus Leipzig. Offiziell trug der Firmenzusammenschluss die Bezeichnung „Arbeitsgemeinschaft Biber II, Einsatz Kaliwerk Georgi“. Die Zahl der in der Produktion tätigen Häftlinge stieg ab Sommer 1944 stetig an. Zum Einsatz kamen vor allem Männer, die als Facharbeiter galten (Schlosser, Dreher, Fräser etc.). Gearbeitet wurde im Schichtbetrieb in 400 Metern Tiefe, bei extremer Hitze und unter der Aufsicht deutscher ziviler Vorarbeiter.

Krankheit und Tod

Im Lager am Georgi-Schacht befand sich die Krankenstation des Lagers. Der sowjetische Häftling Orest W. Dwornikow, früher Truppenarzt in der Roten Armee, half dort als Häftlingsarzt. Ihm zur Seite standen einige Häftlingspfleger. Seitens der SS waren ein SS-Sanitäter namens Behrendt und ein nicht namentlich bekannter Vertragsarzt für die Krankenstation zuständig. 30 bis 50 Häftlinge befanden sich durchschnittlich in Behandlung. Regelmäßig ließ die Lagerführung schwer erkrankte Häftlinge zurück nach Buchenwald bringen, im Austausch gegen neue Arbeitskräfte. Bis Ende März 1945 starben vor Ort mindestens 35 Häftlinge. In den meisten Fällen wurden Lungenkrankheiten, „allgemeine Körperschwäche“ oder Arbeitsunfälle als Todesursachen festgestellt. Mehrere Häftlinge richtete die Gestapo nach Fluchtversuchen hin. Berichten zufolge fanden diese zum Teil im Außenlager vor den angetretenen Häftlingen statt. Die Toten des Lagers ließ die SS im Krematorium in Eisleben oder Halle einäschern oder in Eisleben und Wansleben erdbestatten.

Bewachung

Als Kommandoführer in Wansleben am See fungierte zunächst SS-Obersturmführer Kurt Mathesius (1910-1947). Er trat 1933 in die SS ein und war zuvor unter anderem im KZ Stutthof und in Buchenwald tätig gewesen. Auf ihn folgte im Juli 1944 SS-Sturmscharführer Hermann Helbig (1902-1948). Unter anderem als Kommandoführer im Krematorium und als Mitglied des „Kommando 99“, das tausende sowjetische Kriegsgefangene ermordete, war Helbig seit 1939 im KZ Buchenwald eingesetzt. Die Wachmannschaft in Wansleben am See umfasste im Februar 1945 insgesamt 103 SS-Männer. Über ihre Zusammensetzung liegen bisher keine weiteren Informationen vor.
Kurt Mathesius beging 1947 in amerikanischer Gefangenschaft Selbstmord. Ein amerikanisches Militärgericht in Dachau verurteilte Hermann Helbig 1947 wegen seiner Verbrechen in Buchenwald zum Tode. 1948 wurde er hingerichtet. Spätere Ermittlungen der Zentralen Stelle in Ludwigsburg wegen Verbrechen im Außenlager Wansleben am See blieben ohne Ergebnis.

Räumung

Am Abend des 11. April 1945 begann die Räumung des Außenlagers. Über 1.900 Häftlinge befanden sich noch vor Ort. In Gruppen zu fünfhundert Mann trieb die SS sie aus dem Lager in Richtung Köthen. Die Kranken und nicht Marschfähigen blieben zurück. Am 14. April befreiten amerikanische Truppen die Häftlinge bei Hinsdorf. Wie viele Häftlinge zuvor ums Leben kamen oder unterwegs ermordet wurden, ist nicht bekannt. Amerikanische Soldaten befreiten am 14. April 1945 auch die in Wansleben Zurückgelassenen.

Spuren und Gedenken

Die Gebäude am Georgi-Schacht wurden Ende 1945 gesprengt. Erhalten sind lediglich noch einige Gebäude aus der Lagerzeit am zweiten Standort am ehemaligen Schacht Neumansfeld. Seit September 1946 steht in Wansleben ein Denkmal für die Opfer des Faschismus. Eine Erinnerung spezifisch für die KZ-Häftlinge des Außenlagers Wansleben gibt es nicht.
Seit 2007 setzt sich der „Verein zur Aufarbeitung der NS-Gewaltherrschaft Neu-Mansfeld/Georgi e.V.“ für die Aufarbeitung der Geschichte des Außenlagers ein. In einem sanierten Gebäude des Standorts Neumansfeld befindet sich heute eine Ausstellung zur Geschichte des Ortes.

Link zum heutigen Standort des ehemaligen Georgi Schachtes auf GoogleMaps
Link zum heutigen Standort des ehemaligen Schacht Neumansfeld auf GoogleMaps

Kontakt:
Gedenkstätte KZ-Außenlager Wansleben

Literatur:

KZ Buchenwald – Außenlager Wansleben am See (März 1944 bis April 1945). Zusammengestellt und bearbeitet von Dr. habil. Hartmut Lauenroth, Verein zur Aufarbeitung der NS-Gewaltherrschaft/Salzbergwerk Neu-Mansfeld/Georgi e.V. 2009.


Orest W. Dwornikow, 1954
Orest W. Dwornikow, 1954 ©Familie Kuznetsowa
„Das Salz setzte sich auf der Haut ab, es schmolz dort, dieses Salz, löste sich auf. Es bildeten sich Geschwüre, Schorf – das war sehr, sehr schwer und schrecklich.“

Orest W. Dwornikow

Orest W. Dwornikow wurde am 26. Dezember 1916 in Odessa in der heutigen Ukraine geboren. Er war Truppenarzt in der Roten Armee. Nachdem er Ende 1941 seine Einheit verloren hatte, kam er schwerkrank nach Kirowograd, der Geburtsstadt seiner Frau. Weil er Partisanen unterstützte, verhaftete die Gestapo ihn im Februar 1943 und deportierte ihn nach Buchenwald. Seit März 1944 setzte die SS ihn als Häftlingsarzt in Wansleben ein. Nach der Befreiung in seine ukrainische Heimat zurückgekehrt, verhaftete ihn 1946 der sowjetische Geheimdienst wegen angeblichen „Verrats des Vaterlandes“. Nach zehn Jahren Haft in einem sibirischen Arbeitslager kehrte er nach Cherson zurück, wo er wieder als Arzt arbeitete. Orest W. Dwornikow starb im Jahr 2000.



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