Altenburg (Frauen)

1. August 1944 – 12. April 1945

Das Lager

1937 nahm die Hugo-Schneider-AG (HASAG) in ihrem Werk im thüringischen Altenburg, rund 50 Kilometer südlich von Leipzig, die Produktion auf. Die Rüstungsfabrik lag am nördlichen Stadtrand in der heutigen Poststraße in der Nähe eines Bahnanschlusses. Dort beutete die Werksleitung zunächst Zwangsarbeiter, Zwangsarbeiterinnen und Kriegsgefangene aus den deutsch besetzten Ländern Europas aus. Wie an anderen HASAG-Standorten richtete der Rüstungskonzern mit der SS im Sommer 1944 zudem ein KZ-Außenlager für weibliche Häftlinge ein. Es bestand aus mehreren massiven, mehrstöckigen Steingebäuden, vermutlich ehemaligen Fabrikgebäuden, und befand sich südlich des HASAG-Geländes zwischen der Bahnlinie und der heutigen Feldstraße. Das Lagerareal war mit Stacheldraht umzäunt. Die Frauen mussten täglich rund 15 Minuten zu ihrem Arbeitsort im Werk marschieren. Die Einrichtung des Lagers lag in den Händen der Buchenwalder SS. Im September 1944 wurde das Frauenaußenlager offiziell dem KZ Buchenwald unterstellt. Ende November entstand auf dem HASAG-Gelände ein weiteres Außenlager für männliche KZ-Häftlinge.

Die Häftlinge

Am 1. August 1944 brachte die SS 850 Frauen aus dem KZ Ravensbrück nach Altenburg. Sie galten als politische Häftlinge. Die große Mehrheit von ihnen stammte aus Polen, die übrigen aus der Sowjetunion, Frankreich und anderen Ländern. Mitte August kamen über 1.000 Frauen aus dem Außenlager Schlieben, ebenfalls ein HASAG-Lager, nach Altenburg. Bis auf wenige Ausnahmen waren es Sintizze und Romnja aus Belgien, dem damaligen Deutschen Reich, Jugoslawien, Frankreich und der Tschechoslowakei – viele von ihnen Überlebende des „Zigeuner-Familienlagers“ in Auschwitz-Birkenau. 500 von ihnen schickte die SS Anfang September weiter in das HASAG-Außenlager nach Taucha. Etwa zeitgleich trafen in Altenburg 500 jüdische Häftlinge aus dem damaligen Ungarn und 600 Polinnen ein. Auch sie waren zuvor in Auschwitz inhaftiert gewesen. Im Oktober 1944 brachte die SS auf Anforderung der HASAG nochmals 500 jüdische Häftlinge aus Auschwitz nach Altenburg. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich rund 2.600 Frauen vor Ort. Insgesamt durchliefen mehr als 3.500 Frauen das Lager, die Jüngsten gerade erst 13 Jahre alt.

„Aber um sicherzugehen, dass wir nicht wegliefen, schnitten sie aus jedem Mantel ein Quadrat auf der Rückseite heraus und ersetzten es durch einen anderen Stoff. Wir würden nicht weit kommen, ohne angezeigt zu werden. Wir waren markierte Frauen.“
Lily Ebert
Zum Erinnerungsbericht

Zwangsarbeit

Die Frauen arbeiteten im nahegelegenen HASAG-Werk, wo sie Munition und Panzerfäuste für die Rüstungsproduktion herstellten. Eingesetzt in verschiedenen Abteilungen und beaufsichtigt von deutschen Vorarbeitern und Meistern leisteten sie körperliche Schwerstarbeit an unterschiedlichen Maschinen. Für extrem gesundheitsschädliche Arbeiten, wie das Verfüllen von giftigen Sprengstoffen, wurden vor allem Sintezze, Romnja und Jüdinnen ausgebeutet. Viele von ihnen galten nach kurzer Zeit als arbeitsunfähig, weshalb die SS sie zurück nach Auschwitz oder Ravensbrück schickte. Rund 100 Frauen waren im Lager, zum Beispiel in der Küche, tätig. Es gab zwölfstündige Tag- und Nachtschichten von 6 bis 18 Uhr und von 18 bis 6 Uhr mit einer Pause von 45 Minuten bis zu einer Stunde. Auch sonntags musste ein Teil der Frauen im HASAG-Werk arbeiten.

Krankheit und Tod

In der Krankenstation des Lagers kümmerten sich seit September 1944 die französische Häftlingsärztin Etel Kinberg und bis zu 10 Pflegerinnen um die Kranken. Seitens der SS waren ein SS-Sanitäter namens Gentzsch und als Vertragsarzt der SS ein in Altenburg niedergelassener Arzt, Dr. H. Kanter, für die Krankenstation zuständig. Viele der Frauen kamen bereits sehr geschwächt nach Altenburg, sodass es von Beginn an sehr viele Kranke gab: Im August 1944 befanden sich rund 70 Frauen und im November 1944 bereits bis zu 150 Frauen täglich in ambulanter oder stationärer Behandlung. Vereinzelt wurden sie auch in das städtische Krankenhaus eingewiesen. Erschöpfte und kranke Häftlinge ließ die Lagerführung regelmäßig in andere Lager abschieben. Insgesamt brachte die SS über 500 Frauen zurück nach Ravensbrück, Auschwitz und später nach Bergen-Belsen. Mindestens drei Geburten im Lager sind belegt. Drei Schwangere und zwei Mütter mit Neugeborenen schickte die SS im Januar 1945 nach Bergen-Belsen. Vor Ort in Altenburg starben zehn Frauen. Die Toten wurden auf dem städtischen Friedhof beigesetzt.

Bewachung

Die Wachmannschaft bestand aus SS-Männern, die für die äußere Bewachung des Lagers zuständig, und SS-Aufseherinnen, die im Lager eingesetzt waren. Mitte August 1944 umfasste sie 43 SS-Männer und 18 Aufseherinnen. Mit der Vergrößerung des Frauenlagers und der Einrichtung des Männerlagers wuchs die Wachmannschaft: im März 1945 auf 70 SS-Männer und 40 Aufseherinnen. Als Kommandoführer fungierte SS-Oberscharführer Johann Frötsch (geb. 1900). Zuvor war er Blockführer in Buchenwald und schon dort für seine Brutalität gefürchtet gewesen. Überlebende des Frauenlagers berichteten später von zahlreichen Gewalttätigkeiten. An der Spitze der Aufseherinnen stand, die vorher als Rapportführerin in Auschwitz tätige Elisabeth Ruppert (geb. 1914).
Das Landgericht Gera verurteilte 1951 den Betriebsleiter der HASAG, Friedrich Ferdinand Borch, wegen der Misshandlung weiblicher Häftlinge in Altenburg zu einem Jahr und sechs Monaten Haft. Elisabeth Ruppert wurde wegen Verbrechen in Auschwitz inhaftiert, zu einer Verurteilung kam es jedoch nicht. Ein Ermittlungsverfahren der Zentralen Stelle in Ludwigsburg zur Überprüfung der Geschehnisse in den beiden Altenburger Lagern blieb 1975 ergebnislos.

 

Räumung

Ende März 1945 befanden sich 2.435 Frauen und rund 200 Männer in den beiden HASAG-Außenlagern in Altenburg. Am 12. April räumte die SS beide Lager. Die Männer und Frauen mussten vermutlich in unterschiedlichen Kolonnen zu Fuß in Richtung Glauchau in Sachsen marschieren. Am 14. April befreiten amerikanische Soldaten 800 jüdische Frauen und Männer in Waldenburg. Die übrigen Häftlinge trieb die SS weiter über das Erzgebirge in Richtung Tschechoslowakei. Wann und wo sie befreit wurden, ist bisher nicht bekannt.

Spuren und Gedenken

Amerikanische Soldaten sprengten 1945 einen Großteil der HASAG-Werksanlagen. Die sowjetische Militäradministration demontierte zwei Jahre später die Reste. Bis auf wenige Gebäude wie das ehemalige HASAG-Verwaltungsgebäude und eine Lagerbaracke (Baracke 14) ist heute alles abgerissen oder überbaut. 2006 wurde am ehemaligen Verwaltungsgebäude eine Gedenktafel zur Erinnerung an die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter sowie die KZ-Häftlinge der HASAG in Altenburg angebracht. Auf dem Friedhof Altenburg, wo die Toten des Außenlagers beerdigt wurden, gibt es seit Oktober 2002 Gedenkstelen mit den Namen.

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Link zum Standort des Friedhofes in Altenburg auf GoogleMaps

Kontakt:
Altenburger Geschichtsverein e.V. (AGV)

Gedenkstätte Friedhof Altenburg, 2022. Foto: Katharina Brand
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Gedenkstätte Friedhof Altenburg, 2022. Foto: Katharina Brand ©Gedenkstätte Buchenwald
Gedenkstätte Friedhof Altenburg, 2022. Foto: Katharina Brand
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Gedenkstätte Friedhof Altenburg, 2022. Foto: Katharina Brand ©Gedenkstätte Buchenwald

Literatur:

Diana Blaas, Christian Brumme, Felix Otto, Die HASAG in Altenburg, Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge des Außenlagers Buchenwald im Rüstungskonzern, Altenburg 2009.

Irmgard Seidel, Altenburg (Frauen), in: Wolfgang Benz u. Barbara Distel (Hg.), Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 3: Sachsenhausen, Buchenwald, München 2006, S. 363-365.


Lily Ebert (Mitte) mit ihren Schwestern René und Piri nach der Befreiung, 1945
Lily Ebert (Mitte) mit ihren Schwestern René und Piri nach der Befreiung, 1945 ©Familie Ebert/Forman
„Täglich gab es mindestens 11 Tote, und ein fitter Mann konnte normalerweise 3-5 Wochen durchhalten.“

Lily Ebert

Lily Ebert wurde am 29. Dezember 1923 als Lívia Engelman im ungarischen Bonyhád als ältestes von sechs Kindern einer jüdischen Familie geboren. Nach vier Monaten im Ghetto deportierten die deutschen Besatzer sie im Juli 1944 mit ihrer Familie nach Auschwitz-Birkenau. Dort ermordete die SS ihre Mutter und zwei jüngere Geschwister direkt nach der Ankunft. Im Oktober 1944 brachte die SS Lily mit ihren Schwestern René und Piri zur Zwangsarbeit nach Altenburg. Alle drei überlebten. Die Geschwister gingen zunächst in die Schweiz. Später emigrierte die Familie nach Israel, wo Lily heiratete und drei Kinder bekam. Seit 1967 lebte sie in England. Lily Ebert starb 2024 im Alter von 100 Jahren in London.



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