Colditz

29. November 1944 – 14. April 1945

Das Lager

Der Leipziger Rüstungskonzern Hugo-Schneider AG (HASAG) richtete 1944 auf einem Gelände an der Zwickauer Mühle in Colditz, 30 Kilometer südöstlich von Leipzig, ein Rüstungswerk und ein Häftlingslager ein. Das Gelände mit mehreren Fabrikhallen hatte sie von der Steingutfabrik Colditz AG übernommen. Die ersten KZ-Häftlinge trafen im November 1944 in Colditz ein. Ihre Aufgabe war es, das Häftlingslager in einer der Fabrikhallen aufzubauen. Diese lag am südlichen Rand des Werksgeländes, im sogenannten Südwerk. Das Lager wurde mit einem elektrischen Zaun und zwei Wachtürmen gesichert. In den Unterkünften befanden sich mehrstöckige Pritschen. Öfen waren zwar vorhanden, sie reichten jedoch nicht aus, um die hohen Räume in den kalten Wintermonaten zu beheizen.

Die Häftlinge

Die ersten 100 Häftlinge trafen am 29. November 1944 aus Buchenwald in Colditz ein. Bis Ende Februar folgten weitere Transporte aus Buchenwald und dem Außenlager der HASAG in Leipzig-Schönefeld. Ende März war das Lager mit 641 Häftlingen belegt. Bis auf eine kleine Gruppe deutscher nicht-jüdischer Häftlinge, die als Funktionshäftlinge eingesetzt wurden, galten alle anderen Männer als jüdische Häftlinge. Fast alle stammten aus Polen oder Ungarn. Einige von ihnen hatten bereits zuvor in Werken der HASAG im deutsch besetzten Polen arbeiten müssen. Aufgrund der hohen Zahl jüdischer Häftlinge führte die SS das Außenlager in Colditz in der Buchenwalder Lagerverwaltung als eines der „jüdischen Außenkommandos“.

„und als wir durch die deutschen Städte zogen, bewarfen uns die Bewohner mit Steinen, beschimpften uns und verweigerten uns jegliche Nahrung oder Wasser.“
Pinchas Gutter
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Zwangsarbeit

Das Außenlager in Colditz war eines von sieben KZ-Außenlagern der Firma HASAG in Deutschland. In Colditz mussten die Häftlinge zunächst ihr eigenes Lager in der Werkhalle einrichten, später die übrigen Hallen zu einer Munitionsfabrik umbauen und die Produktion vorbereiten. Es ist nicht belegt, ob die Fabrik fertiggestellt wurde und Häftlinge in der geplanten Produktion von Munition und Panzerfäusten eingesetzt waren. Die meisten Häftlinge galten als ungelernte Hilfsarbeiter, für die die HASAG pro Arbeitstag und Häftling vier Reichsmark an die SS zahlte. Arbeitsfreie Tage gab es keine. Auch an Sonntagen mussten alle Häftlinge durchgängig arbeiten. Vermutlich gab es 12-stündige Tagschichten mit einer 30-minütigen Pause. Die Arbeit erfolgte unter der Aufsicht von zivilen Meistern. Neben den KZ-Häftlingen waren auch polnische Zwangsarbeitende in der Fabrik eingesetzt.

Blick auf die von der HASAG übernommene Steingutfabrik Colditz AG, 1930er-Jahre
Blick auf die von der HASAG übernommene Steingutfabrik Colditz AG, 1930er-Jahre
©Sammlung Schloss Colditz

Krankheit und Tod

Die kranken Häftlinge waren in einem abgetrennten Bereich einer Fabrikhalle untergebracht, der als Krankenrevier diente. Mindestens 73 schwer oder dauerhaft kranke Häftlinge ließ die SS zurück nach Buchenwald bringen und ersetzte sie durch neue Häftlinge. Zur Krankenversorgung hatte die SS den jüdischen Häftlingsarzt Stefan Geist aus Teplice eingesetzt. SS-Sanitäter Godwinski beaufsichtigte ihn. Für die Unterzeichnung der Todesbescheinigungen war der Vertragsarzt Walther Ulrich aus Colditz zuständig. Bis Anfang April 1945 wurden 24 Todesfälle an das Hauptlager in Buchenwald gemeldet. Die Todesursachen spiegeln die schwierigen Bedingungen im Lager wider. Die meisten Häftlinge starben an Herz- und Körperschwäche oder an den Folgen von Lungenentzündungen. Die Toten wurden auf dem „Ausländerfriedhof Colditz“ an der Außenseite des Friedhofs beigesetzt und erst nach Kriegsende auf den regulären Friedhof umgebettet.

Bewachung

Die Wachmannschaft in Colditz bestand aus 22 SS-Männern, wobei es sich bei manchen um von der Wehrmacht überstellte Soldaten gehandelt haben soll. Ein SS-Oberscharführer namens Gens, über den keine weiteren Informationen vorliegen, kommandierte sie. Sein Stellvertreter war ein SS-Oberscharführer namens Zischka. Strafrechtliche Verurteilungen wegen Verbrechen im Außenlager Colditz gab es nicht. Sowohl die Ermittlungen 1947 der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland als auch die Ermittlungen 1948/1949 gegen einzelne Bedienstete der HASAG und das Lagerpersonal wurden ohne Ergebnis eingestellt.

Räumung

Anfang April 1945 kam im Außenlager Colditz ein Transport aus dem bereits aufgelösten Außenlager in Jena mit rund 800 bis 850 Häftlingen an. Am 14. April räumte die SS schließlich auch das Lager Colditz. Einer kleinen Gruppe von Häftlingen gelang es, sich in Colditz zu verstecken. Amerikanische Soldaten befreiten sie und brachten sie in das Stadtkrankenhaus in Borna. Die übrigen etwa 1.500 Häftlinge wurden zu Fuß in Richtung Theresienstadt geschickt. Dort trafen am 27. April lediglich 399 Häftlinge ein. Die nicht-jüdischen Häftlinge hatte man abgetrennt und kurz zuvor nach Leitmeritz gebracht. Während des Todesmarsches starb eine unbekannte Zahl von Häftlingen. Laut Aussagen von Überlebenden kam es zu zahllosen Erschießungen durch die SS-Wachmannschaft.

Spuren und Gedenken

Das Gelände der ehemaligen Steingutfabrik wird heute von unterschiedlichen Betrieben genutzt. Manche lagerzeitlichen Gebäude stehen noch, jedoch erinnert vor Ort nichts an das ehemalige Außenlager. Auf dem Friedhof in Colditz befand sich seit 1950 ein Mahnmal für die Opfer der Zwangsarbeit. Erst nach der Wiederentdeckung der Totenlisten aus dem Außenlager Colditz wurde die Grabanlage neugestaltet und als jüdische Grabstelle kenntlich gemacht. 2007 erfolgte die Einweihung der Anlage auf dem Colditzer Friedhof. Seit 2013 erinnert die Website www.reinheitcolditz.de in Form einer künstlerischen Intervention unter anderem an das Außenlager der HASAG in Colditz.

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Ehrenhain auf dem Friedhof Colditz für die Opfer der Zwangsarbeit, 2023
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Ehrenhain auf dem Friedhof Colditz für die Opfer der Zwangsarbeit, 2023 ©Foto: Wolfgang Heidrich
Gedenkplakette in Erinnerung an die jüdischen Opfer an der Friedhofsmauer in Colditz, 2023
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Gedenkplakette in Erinnerung an die jüdischen Opfer an der Friedhofsmauer in Colditz, 2023
©Foto: Wolfgang Heidrich
Gedenkplakette in Erinnerung an die jüdischen Opfer an der Friedhofsmauer in Colditz, 2023
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Gedenkplakette in Erinnerung an die jüdischen Opfer an der Friedhofsmauer in Colditz, 2023
©Foto: Wolfgang Heidrich
Gedenkplakette in Erinnerung an die jüdischen Opfer an der Friedhofsmauer in Colditz, 2023
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Gedenkplakette in Erinnerung an die jüdischen Opfer an der Friedhofsmauer in Colditz, 2023 ©Foto: Wolfgang Heidrich

Link zum Standort des Ehrenhains auf GoogleMaps

Kontakt:
Wolfgang Heidrich
E-Mail: Wolfgang Heidrich

Literatur:

Wolfgang Heidrich, Colditzer Erinnerungen, in: Reinheit mit Tradition, 2012
www.reinheitcolditz.de/nostalgie.html [zuletzt 05.06.2023].

Martin Schellenberg, KZ-Außenlager Colditz, in: Wolfgang Benz u. Barbara Distel (Hg.), Der Ort des Terrors, Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 3: Sachsenhausen und Buchenwald, München 2006, S. 406-408.


Pinchas Gutter im Alter von 14 Jahren in England, 1946
Pinchas Gutter im Alter von 14 Jahren in England, 1946 ©Courtesy of The Azrieli Foundation
„und als wir durch die deutschen Städte zogen, bewarfen uns die Bewohner mit Steinen, beschimpften uns und verweigerten uns jegliche Nahrung oder Wasser.“

Pinchas Gutter

Pinchas Gutter kam am 21. Juli 1932 in Łódź (Polen) zur Welt, wo er in einer jüdischen Familie aufwuchs. Die deutschen Besatzer zwangen die Familie, im Warschauer Ghetto zu leben. Im Frühjahr 1943 wurde Pinchas mit seinen Eltern und seiner Schwester in das Konzentrationslager Majdanek deportiert. Er überlebte als einziger und durchlief verschiedene Zwangsarbeitslager der HASAG, unter anderem in Tschenstochau (Częstochowa). Über Buchenwald gelangte er nach Colditz. Nach einem Todesmarsch befreite ihn die Rote Armee in Theresienstadt. Später lebte er in Großbritannien, Israel, Südafrika und seit 1985 in Kanada. 2014 war er einer der ersten Teilnehmer des Projekts „Dimension in Testimony“ der USC Shoah Foundation, ein Hologramm-Projekt mit Überlebenden der Shoah.



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