Leipzig-Schönefeld

24. November 1944 – 13./14. April 1945

Das Lager

Der Rüstungskonzern „Hugo-Schneider-Aktiengesellschaft“ (HASAG) beutete seit Kriegsbeginn an allen seinen Produktionsstandorten Zwangsarbeitende, Kriegsgefangene und später KZ-Häftlinge aus, auch in seinem Hauptwerk in Leipzig-Schönefeld. Dort hatte das Unternehmen bereits im Juni 1944 ein Außenlager für weibliche KZ-Häftlinge eingerichtet. Seit September unterstand es offiziell dem Konzentrationslager Buchenwald. Zusätzlich forderte die Unternehmensleitung im Herbst 1944 männliche Häftlinge von der SS an. Am 24. November 1944 trafen die ersten 150 Männer aus Buchenwald in Leipzig ein. Sie wurden in abgetrennten Baracken auf dem HASAG-Areal neben dem bereits existierenden Frauenaußenlager untergebracht. Die genaue Lage der Baracken für die männlichen Häftlinge ist nicht bekannt. Wie auch die Frauen mussten sie in dem nahegelegenen HASAG-Werk Zwangsarbeit verrichten. Das Männerlager der HASAG in Leipzig-Schönefeld war eines von insgesamt zwölf Buchenwalder Außenlagern, die für die HASAG eingerichtet wurden.

Die Häftlinge

Am 24. November 1944 schickte die SS die ersten 150 Männer aus Buchenwald nach Leipzig-Schönefeld. Die Gruppe jüdischer Männer stammte aus Ungarn, die meisten von ihnen waren aus Budapest verschleppt worden und erst fünf Tage zuvor in Buchenwald eingetroffen. Anfang Dezember folgten 400 weitere Häftlinge aus Buchenwald. Der Großteil dieser nicht-jüdischen politischen Häftlinge kam aus Polen und der Sowjetunion, weitere aus Frankreich, Belgien und den Niederlanden. Mit diesem Transport brachte die SS zudem eine Gruppe deutscher Häftlinge nach Leipzig, die sie als Kapos und Vorarbeiter einsetzte. Sie alle waren als „Berufsverbrecher“ in das Konzentrationslager eingewiesen worden. Mit nun 550 Häftlingen erreichte das Lager seine kurzzeitige Höchstbelegung. Kurz darauf schickte die SS die jüdischen und 50 weitere Häftlinge in das Außenlager der HASAG nach Colditz. Im Januar und Februar folgten Überstellungen aus Leipzig in das HASAG-Außenlager nach Flößberg. Im März 1945 befanden sich schließlich noch 84 männliche Häftlinge in Leipzig-Schönefeld.

„Dann Buchenwald, dann ein Kommando in Leipzig, wo wir zwölf Stunden am Tag auf dem Panzerfaustprüfstand arbeiten mussten und allzu oft als Versuchskaninchen dienten, um die mörderische Wirkung dieser Waffe zu ermessen.“
Edmond „Edin“ Ben Danou
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Zwangsarbeit

Wie die weiblichen Häftlinge mussten auch die Männer in Leipzig-Schönefeld im nahegelegenen Hauptwerk der HASAG arbeiten. Zu welchen Arbeiten sie genau eingeteilt waren, ist bisher nicht bekannt. Im Hauptwerk produzierten sie hauptsächlich Teile für Panzerfäuste, setzten Waffen zusammen und kontrollierten diese. Die männlichen Häftlinge galten alle als ungelernte Hilfsarbeiter. Außer an den Weihnachtsfeiertagen gab es für die Männer im Dezember 1944 keine freien Tage, sie mussten vermutlich in 12-stündigen Tag- und Nachtschichten durcharbeiten. Im Januar und Februar 1945 wurde ebenfalls an den Sonntagen gearbeitet, wenn auch in reduzierter Form.

Krankheit und Tod

Ob es in dem Lager eine Krankenstation gab oder die Behandlung der Kranken nur ambulant erfolgte, ist nicht bekannt. Als Häftlingsarzt setzte die SS zunächst den jüdischen Häftling Stefan Geist ein, der dann nach Colditz überstellt wurde. Auf ihn folgte der 27-jährige Häftlingsarzt Eugen Kochjaew aus der Sowjetunion. Er blieb bis zur Räumung des Lagers vor Ort. Ein SS-Sanitäter namens Dressler und der Vertragsarzt Dr. Lutze beaufsichtigten formal die Krankenversorgung. Im März 1945 befanden sich jeden Tag durchschnittlich 13 Häftlinge in ambulanter Behandlung. Mindestens sieben Männer wurden als „nichteinsatzfähig“ zurück nach Buchenwald geschickt und durch andere Häftlinge ersetzt. Bis zur Räumung des Lagers sind vier Todesfälle für das Außenlager belegt. Die Toten ließ die SS im Krematorium auf dem Leipziger Südfriedhof einäschern und die Urnen auf dem Ostfriedhof beisetzen.

Bewachung

Die zur Bewachung des HASAG-Frauenaußenlagers eingesetzte Wachmannschaft übernahm auch die Bewachung des neuen Männerlagers. Im März 1945 bestand sie aus 112 SS-Männern und 60 SS-Aufseherinnen, wobei Letztere ausschließlich im Frauenlager tätig waren. Als Kommandoführer in Leipzig-Schönefeld fungierte SS-Obersturmführer Wolfgang Plaul (1909-1945). 1931 in die NSDAP und SS eingetreten, machte er Karriere in den Konzentrationslagern Sachsenburg, Sachsenhausen und Wewelsburg. In Buchenwald war er zeitweilig 2. Schutzhaftlagerführer und ab 1943 Kommandoführer im Außenlager in Schmiedebach („Laura“). Im Juni 1944 wechselte er in gleicher Funktion nach Leipzig-Schönefeld. Gleichzeitig hatte er eine Aufsichtsfunktion über alle weiteren HASAG-Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald.
Ermittlungen der Zentralen Stelle in Ludwigsburg wegen Verbrechen in Leipzig-Schönefeld führten in den 1970er-Jahren zu keinem Ergebnis. Sowjetische Behörden hatten Wolfgang Plaul bereits 1945 verhaftet. Ein sowjetisches Militärtribunal verurteilte ihn im selben Jahr zum Tode.

Räumung

Ende März 1945 befanden sich noch 84 Häftlinge im Männerlager Leipzig-Schönefeld. Im April begann die SS, die Lager aufzulösen. Nach der Ankunft von weiblichen Häftlingen aus anderen Lagern trieb die SS die meisten Insassinnen des Frauenlagers am 13. und 14. April in zwei Kolonnen zu Fuß nach Osten. Zurück blieben nur einige Marschunfähige, die am 18. April durch amerikanische Truppen befreit wurden. Genaue Informationen über die Räumung des Männerlagers liegen bisher nicht vor. Berichten zufolge trieb die SS jedoch auch die männlichen Häftlinge – vermutlich zusammen mit den Frauen – in Richtung Osten. Die Marschkolonnen trennten sich unterwegs und wurden Ende April/Anfang Mai von der nahenden Roten Armee befreit. Wie viele Männer und Frauen unterwegs ums Leben kamen, ist nicht bekannt.

Spuren und Gedenken

Nach Kriegsende setzte die HASAG die Produktion zunächst fort – statt mit Rüstungsgütern nun mit Lampen oder auch Kochtöpfen. Später enteignete die sowjetische Militäradministration das Unternehmen. Die Anlagen wurden abgebaut und abtransportiert. Von den Gebäuden blieb lediglich das ehemalige Fabrikgebäude in der heutigen Kamenzer Straße 12 in Teilen erhalten, in dem der Großteil der Frauen untergebracht war. Die Firma VVB ABUS Halle nutzte es später als Verwaltungsgebäude. Weitere Spuren der beiden Außenlager bei der HASAG gibt es nicht. Ein 1970 gesetzter Gedenkstein in der Permoserstraße und eine 2022 am Standort des Frauenlagers in der Kamenzer Straße neu errichtete Gedenkstele erinnern nur an das Buchenwalder Frauenaußenlager in Leipzig-Schönefeld.
Seit 2001 erinnert die Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig an die Opfer des NS-Zwangsarbeitseinsatzes in Leipzig und Umgebung. Die Gedenkstätte befindet sich auf dem historischen Gelände des ehemaligen Stammwerkes der HASAG, auf dem heute ein Wissenschaftskomplex angesiedelt ist.

Link zum heutigen Standort auf GoogleMaps

Kontakt:
Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig

Literatur:

Anne Friebel u. Josephine Ulbricht (Hg.), Zwangsarbeit beim Rüstungskonzern HASAG. Der Werksstandort Leipzig im Nationalsozialismus und seine Nachgeschichte, Leipzig 2023.


Edin Ben Danou nach seiner Ankunft im KZ Buchenwald (Ausschnitt der Häftlingspersonalkarte), 1944
Edin Ben Danou nach seiner Ankunft im KZ Buchenwald (Ausschnitt der Häftlingspersonalkarte), 1944 ©Erkennungsdienst der SS (Arolsen Archives)
„Dann Buchenwald, dann ein Kommando in Leipzig, wo wir zwölf Stunden am Tag auf dem Panzerfaustprüfstand arbeiten mussten und allzu oft als Versuchskaninchen dienten, um die mörderische Wirkung dieser Waffe zu ermessen.“

Edmond „Edin“ Ben Danou

Edin Ben Danou wurde am 12. Juni 1888 in Perregaux in Algerien, damals eine französische Kolonie, geboren. Nach dem Ersten Weltkrieg begann er in Paris – wo er sich Edmond nannte – eine Karriere als Schauspieler, Autor arabischer Märchen und vor allem als Rundfunksprecher bei der Sendung „Radio Paris“. Die deutsche Besetzung Frankreichs setzte seinen beruflichen Erfolgen ein Ende. Die Gestapo verhaftete ihn 1940 erstmals wegen des Vorwurfs der Spionage. Nach einer erneuten Verhaftung ließ sie ihn im Januar 1944 nach Buchenwald deportieren. Von Dezember 1944 bis April 1945 musste er in Leipzig-Schönefeld Zwangsarbeit leisten. Nach der Befreiung auf dem Todesmarsch kehrte er nach Frankreich zurück. Im November 1945 berichtete Edin Ben Danou für die Zeitschrift „Radio“ über seine Hafterfahrungen. Er starb 1975.



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