Schmiedebach („Laura“)

21. September 1943 – 13. April 1945

Das Lager

In dem Dorf Schmiedebach im Thüringer Schiefergebirge, heute ein Ortsteil von Lehesten, lag der „Oertelsbruch“ – seit dem 19. Jahrhundert industrieller Abbauort für Schiefer. Ab September 1943 wurde der Betrieb der Karl Oertel Schieferbrüche GmbH Lehesten für kriegswichtige Zwecke requiriert. Auf dem Gelände des Schieferbruchs mit seinem großen Tagebaukessel und den kilometerlangen Stollen sollte ein Testbetrieb für Triebwerke der A4-Rakete („V2“) entstehen. Die Einrichtung des Rüstungsbetriebs mit dem Tarnnamen „Vorwerk Mitte“ erfolgte im Rahmen der Untertageverlagerung der Raketenfertigung nach der Bombardierung der Heeresversuchsanstalt in Peenemünde. Für den Ausbau der Anlagen wurden KZ-Häftlinge aus Buchenwald eingesetzt. Die Unterkünfte der ab Oktober 1943 eintreffenden Männer befanden sich zunächst in Hütten im Tagebaugelände. Ab November 1943 funktionierte die SS Gebäude und Stallungen der Firma Oertel oberhalb des Schieferbruchs zum Häftlingslager um und zäunte diese ein. Als Hauptunterkunft diente eine große Scheune. Die Wachmannschaft bezog Gebäude direkt neben dem Lager. Das neue KZ-Außenlager erhielt den Tarnnamen „Laura“.

Die Häftlinge

Die SS brachte die ersten 100 Häftlinge am 21. September 1943 in das Lager „Laura“. Für den Ausbau der Stollenanlage wurden sehr viele Arbeitskräfte benötigt, weshalb die Zahl der Häftlinge sehr schnell stieg. Seine höchste Belegung erreichte das Lager im Dezember 1943 mit über 1.200 Männern. Hinzu kamen über einhundert Kriegsgefangene aus Italien, sogenannte italienische Militärinternierte. Bei den Häftlingen handelte es sich mehrheitlich um als politische Gefangene kategorisierte Männer. Der Großteil von ihnen stammte aus der Sowjetunion, aus Frankreich, Polen, Jugoslawien, Italien, den Niederlanden, der Tschechoslowakei, Belgien und weiteren Ländern. Die SS setzte vor allem deutsche Häftlinge als Funktionshäftlinge ein. Zu ihnen zählte der Lagerälteste Alfons Kunikowski aus Hamburg. Nach dem Ende der Bauarbeiten verringerte die SS die Zahl der Häftlinge. Ab Sommer 1944 befanden sich durchschnittlich nur noch 450 Männer im Lager. Erst mit dem Eintreffen von 200 jüdischen Häftlingen Ende Januar 1945 stieg die Belegung des Lagers wieder an. Insgesamt durchliefen vermutlich mehr als 2.600 Häftlinge das Lager.

„Im Tunnel donnerte es gewaltig, stinkige Rauch- und Staubwolken erschwerten das Atmen, und schrilles Geschrei drang in die Ohren. Los, an die Arbeit, aber schnell! Wir traten in die Hölle.“
Ryszard Kessler
Zum Erinnerungsbericht

Zwangsarbeit

Die Zwangsarbeit in „Laura“ unterteilte sich in zwei Phasen: Zunächst mussten die Häftlinge körperliche Schwerstarbeit beim Ausbau der Stollen für die Einrichtung des Rüstungsbetriebs „Vorwerk Mitte“ leisten. Sie trieben Stollen in den Berg, verlegten Gleise und Rohre oder führten im Dreischichtbetrieb Erd- und Betonarbeiten aus. Die sehr schlechten und harten Arbeitsbedingungen führten vor allem im Winter 1943/44 zu einem steilen Anstieg der Kranken und Toten.
Im April 1944 lief der Testbetrieb für die Raketentriebwerke an. Fortan arbeiteten die Häftlinge vor allem in der Rüstungsproduktion, wo die Bedingungen etwas besser waren. In elfstündigen Tag- und Nachtschichten testeten die Männer die Triebwerke oder stellten in den unterirdischen Anlagen Flüssigsauerstoff her. Ein Teil von ihnen galt nun auch als Facharbeiter. Ab September 1944 wurden Häftlinge daneben wieder für Bauarbeiten eingesetzt, um das Werk zu vergrößern. Nach der Einstellung des Testbetriebs für die Triebwerke im Januar 1945 erfolgte der Einsatz der Häftlinge u.a. auf Baustellen in der Umgebung.

Krankheit und Tod

Erst im Dezember 1943 wurde eine eigene Krankenbaracke im Lager errichtet. Zuvor gab es ein improvisiertes Krankenrevier in der Häftlingsunterkunft. Wechselnde Häftlingsärzte und -pfleger waren für die Krankenversorgung zuständig, ihre Mittel jedoch sehr begrenzt. Vor allem die Arbeitsbedingungen beim Ausbau der Stollen forderten bis zum Frühjahr 1944 sehr viele Opfer. Insgesamt sind für das Außenlager „Laura“ 538 Todesfälle belegt. Die meisten Männer starben zwischen September 1943 und März 1944 an völliger Entkräftung, Unterernährung, Krankheiten und Misshandlungen. Hunderte kranke und nicht mehr arbeitsfähige Männer brachte die SS im Frühjahr 1944 zudem zurück nach Buchenwald oder in das KZ Bergen-Belsen. Wie viele von ihnen dort an den Folgen der Zwangsarbeit in „Laura“ starben, ist nicht bekannt. Ab Sommer 1944 ging die Zahl der Sterbefälle aufgrund der veränderten Arbeitsbedingungen zurück. Die Toten ließ die SS mit Lastwagen nach Buchenwald bringen, wo sie im Krematorium verbrannt wurden. Belegt sind jedoch auch Einäscherungen im Krematorium in Saalfeld.

Bewachung

Die Wachmannschaft bestand im September 1944 aus rund 70 SS-Männern. Es ist davon auszugehen, dass sie in den Monaten zuvor mehr SS-Männer umfasste, da die Belegungszahl des Lagers höher lag. Mindestens ein Teil der SS-Männer waren ältere, von der Wehrmacht überstellte Soldaten. SS-Obersturmführer Wolfgang Plaul (1909-1945) befehligte als erster das Kommando vor Ort. Im Juni 1944 wechselte er als Kommandoführer in das Frauenaußenlager Leipzig-Schönefeld. Seine Stellvertretung übernahm SS-Oberscharführer Karl Schmidt (1892-1962), der Berichten zufolge äußerst brutal agierte. Ab August 1944 kommandierte er das Außenlager Dernau. Plauls Nachfolger in Schmiedebach wurde ein SS-Sturmscharführer namens Leible, ein ehemaliger Luftwaffenoffizier. Überlebende berichteten, dass unter seiner Leitung der Terror gegenüber den Häftlingen abnahm.
Ein amerikanisches Militärgericht in Dachau verurteilte den ehemaligen SS-Mann Hans Giese und den ehemaligen Lagerältesten Alfons Kunikowski 1947 wegen Verbrechen in „Laura“ zu Haftstrafen. Weitere Ermittlungen wegen Verbrechen im Außenlager „Laura“ führten zu keinen Verurteilungen.

Räumung

Im April 1945 befanden sich noch rund 650 Häftlinge vor Ort. Am 13. April trieben die SS-Wachen den Großteil von ihnen zu Fuß zum rund zehn Kilometer entfernten Bahnhof in Wurzbach. Nur einige kranke Häftlinge blieben im Lager zurück. Noch am selben Tag trafen amerikanische Soldaten in Schmiedebach ein. Berichten zufolge soll der letzte Kommandoführer Leible das Außenlager an die amerikanischen Truppen übergeben haben. Details hierzu sind jedoch nicht bekannt. Die Häftlinge, die nach Wurzbach getrieben worden waren, brachte die SS mit einem Zug nach Süden. Nach sechs Tagen erreichten sie das Außenlager München-Allach des KZ Dachau. Am 30. April 1945 wurden sie dort von Einheiten der U.S. Army befreit. Wie viele Männer auf dem Weg nach Allach starben, ist nicht bekannt.

Spuren und Gedenken

Nach dem Krieg betrieben amerikanische Einheiten und später die sowjetische Armee die Testanlage für Triebwerke im Oertelsbruch weiter. 1947/1948 wurde sie dann weitgehend gesprengt und der Schieferbruch in den 1950er-Jahren Betriebsteil des VEB Schiefergruben Lehesten. Die bis 2009 für den Schieferabbau genutzte Grube steht heute unter Wasser.
Auf Initiative der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes konnte 1956 auf dem Gelände des ehemaligen Außenlagers ein Gedenkstein errichtet werden. Die Scheune, die als Häftlingsunterkunft diente, ist seit 1979 Gedenkstätte mit einer Ausstellung über das Außenlager. Ab 2010 erfolgte die Neukonzeption der KZ-Gedenkstätte, die sich heute in Trägerschaft des Landkreises Saalfeld-Rudolstadt befindet. Sie wird begleitet durch den Förderverein der Gedenkstätte. Vor Ort informieren eine Dauerausstellung und zahlreiche Bildungsangebote über die Geschichte des Ortes.

Link zum heutigen Standort auf GoogleMaps

Kontakt:
KZ-Gedenkstätte Laura

Gedenkstein auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Laura, 2024. Foto: Patrick Metzler
Gedenkstein auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Laura, 2024. Foto: Patrick Metzler ©Archiv KZ-Gedenkstätte Laura

Literatur:

Dorit Gropp, Saalfeld („Laura“), in: Wolfgang Benz u. Barbara Distel (Hg.), Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 3: Sachsenhausen, Buchenwald, München 2006, S. 555-559.

Dorit Gropp, Aussenkommando Laura und Vorwerk Mitte Lehesten – Testbetrieb für V2-Triebwerke, Berlin 1999.


Ryszard Kessler, 1940
Ryszard Kessler, 1940 ©Archiv KZ-Gedenkstätte Laura
„Im Tunnel donnerte es gewaltig, stinkige Rauch- und Staubwolken erschwerten das Atmen, und schrilles Geschrei drang in die Ohren. Los, an die Arbeit, aber schnell! Wir traten in die Hölle.“

Ryszard Kessler

Ryszard Kessler kam 1924 in Gdynia an der polnischen Ostseeküste zur Welt. Nach Beginn der deutschen Besetzung Polens wurde er im Oktober 1939 nach Kielce vertrieben. Weil er dort illegale Zeitungen für eine Widerstandsorganisation verteilte, verhaftete ihn die Gestapo im März 1941. Er durchlief die Konzentrationslager Auschwitz und Neuengamme, bevor er im Oktober über Buchenwald in das Außenlager „Laura“ kam. Ryszard Kessler überlebte und erlebte die Befreiung in Allach. Erst 1947 konnte er nach Polen zurückkehren, wo er eine Familie gründete. Nach seinem Studium arbeitete er bis zu seiner Pensionierung im Speditionsgewerbe. 1987 kehrte er zum ersten Mal nach „Laura“ zurück. Seine Erinnerungen wurden 1998, drei Jahre nach seinem Tod, veröffentlicht.



Read more