Dernau

21. August 1944 – 14. Dezember 1944

Das Lager

Das ursprünglich im Stahlbau tätige Unternehmen Gollnow und Sohn aus Stettin baute im Krieg unter anderem Fahrzeuge zu mobilen Startanlagen für Raketen um. Teile dieser Produktion wurden ab 1944 in bestehende Tunnel zwischen Ahrweiler und Rech im heutigen nördlichen Rheinland-Pfalz, 25 Kilometer südlich von Bonn, verlagert. Für die Untertagefertigung forderte das Unternehmen von der SS KZ-Häftlinge an. Die im August 1944 eintreffenden Häftlinge brachte die SS in drei Baracken in einem bereits bestehenden Barackenlager oberhalb der beiden Eisenbahntunnel Trotzenbergtunnel und Kuxbergtunnel in Marienthal bei Dernau unter. Berichten zufolge waren diese mit Stacheldraht und Wachtürmen gesichert. Täglich marschierten die Häftlinge unter den Augen der Bevölkerung zu den verschiedenen Arbeitsstätten. Nachdem zwei Baracken bei einem Luftangriff zerstört worden waren, mussten Häftlinge ab Mitte November 1944 in einem der Tunnel leben. Das Untertageverlagerungsvorhaben und das Außenlager erhielten den Tarnnamen „Rebstock“. Seit September 1944 existierte in Dernau kurzzeitig ein zweites KZ-Außenlager unter dem Namen „Rebstock (Stephan)“. Es unterstand jedoch dem Konzentrationslager Natzweiler und zählte nicht zu den Buchenwalder Außenlagern. Die 300 jüdischen Häftlinge dieses Lagers arbeiteten für das Volkswagenwerk.

Häftlinge

Am 21. August 1944 verließ ein Transport mit 30 Häftlingen Buchenwald in Richtung Dernau. Das Vorauskommando sollte das Barackenlager für die Unterbringung von KZ-Häftlingen vorbereiten. Am 4. September 1944 folgte ein zweiter Transport mit 176 Häftlingen. Damit stieg die Belegung des Lagers auf 206 Häftlinge. Weitere 200 Männer, die die SS im September 1944 aus Buchenwald nach Dernau schickte, brachte sie einige Tage später wieder zurück ins Hauptlager, da sie vor Ort nicht gebraucht wurden. Im Durchschnitt waren die Häftlinge im Lager „Rebstock“ 20 bis 29 Jahre alt. Überwiegend stammten sie aus Frankreich und Polen sowie vereinzelt aus Deutschland, der Tschechoslowakei, den Niederlanden und der Sowjetunion. Die meisten von ihnen galten als politische Häftlinge. Mit dem Transport vom 4. September 1944 kamen weitere Funktionshäftlinge nach Dernau, unter ihnen Vorarbeiter, Friseure, Schuster, Schneider und Pflegepersonal. Lediglich einem Häftling gelang im September 1944 die Flucht aus dem Lager. Sein Verbleib ist nicht bekannt.

„Jeden Morgen vor Tagesanbruch bewegen wir uns auf die Fabrik zu. Der Tunnel am Hügel mit seinem riesigen Betontor verschluckt uns.“
Georges Raynaud
Zum Erinnerungsbericht

Zwangsarbeit

Die Firma Gollnow und Sohn spezialisierte sich auf die Montage der Fahrzeugelektrik von Raketenbodenfahrzeugen. Den Großteil der Häftlinge im Lager „Rebstock“ bildeten deshalb Elektroingenieure und gelernte Elektriker sowie angelernte Dreher, Mechaniker oder Schlosser. Trotz dieser Ausbildungen galten die Männer im Lager nicht als Facharbeiter, sondern als billigere Hilfsarbeiter, für die der Betrieb statt sechs lediglich vier Reichsmark pro Arbeitstag an die SS zahlte. Das Unternehmen setzte die Häftlinge für unterschiedliche Arbeiten ein: Ein Teil arbeitete in der Fertigung im Kuxbergtunnel, wo sie überwiegend mit Lötarbeiten beschäftigt waren. Ein anderer Teil der Männer musste zeitweise beim Ausbau weiterer Tunnelanlagen oder für Aufräumarbeiten nach Luftangriffen helfen. Gearbeitet wurde in der Regel in zwölfstündigen Tag- und Nachtschichten. Deutsche Zivilarbeiter leiteten die Häftlinge an. Arbeitsfreie Tage gab es nur vereinzelt. Ab November 1944 bereiteten die Häftlinge die Verlagerung der Produktion von Dernau nach Artern im Harz vor.

Krankheit und Tod

Für die medizinische Versorgung setzte die SS zwei aus Frankreich stammende Häftlinge ein, den Mediziner Marcel Dubois und den Arzt Dr. Marcellin Verbe. Ob es im Lager eine Krankenstation gab, ist nicht bekannt. Im Oktober 1944 waren täglich bis zu 17 Häftlinge wegen Krankheit nicht einsatzfähig. Durch den Umzug der Häftlinge vom Barackenlager in den Tunnel verschlechterten sich ab Mitte November die Lebensbedingungen. Untertage hatten die Häftlinge vor allem mit Feuchtigkeit, Staub, Wassermangel und Ungeziefer zu kämpfen. In wenigen Fällen schickte die SS Schwerkranke zurück nach Buchenwald. Drei Männer starben Anfang Dezember 1944 im Hauptlager Buchenwald an Tuberkulose und Herzschwäche. Zwei Wochen zuvor waren sie als Kranke aus Dernau zurückgebracht worden. Für das Lager Dernau selbst sind keine Todesfälle dokumentiert.

Bewachung

Das Außenlager stand unter der Leitung des SS-Oberscharführers Karl Schmidt (1892-1962). Er war Angehöriger des SS-Totenkopf-Sturmbanns Thüringen und wurde im April 1942 in die Abteilung III des Kommandanturstabes des KZ Buchenwald versetzt. Seit September 1943 im Außenlager Laura in Thüringen eingesetzt, übernahm er Ende August 1944 die Leitung des Außenlagers in Dernau. Die Bewachung bestand im Oktober 1944 aus 26 SS-Wachposten. Der Kommandant Karl Schmidt blieb nach dem Krieg verschollen und wurde 1962 für tot erklärt. Ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Koblenz wegen Tötungen von Häftlingen im Außenlager Dernau wurde 1992 aus Mangel an Beweisen eingestellt.

Räumung

Aufgrund der herannahenden alliierten Truppen begannen im November 1944 die Vorbereitungen für die Verlagerung der Produktion von Gollnow und Sohn nach Artern im Harz. Mit den Maschinen wurden auch die Häftlinge nach Artern verlegt, wo ein neues Außenlager des Konzentrationslagers Mittelbau entstand. Die ersten 100 Häftlinge verließen Dernau am 27. November 1944 in Richtung Artern. Die übrigen 99 Männer folgten am 14. Dezember 1944. Erst zwei Wochen später unterstand das Lager offiziell dem KZ-Mittelbau.

Spuren und Gedenken

Zwischen 1960 und 1972 wurden die Tunnelanlagen nahe Dernau als Regierungsbunker der Bundesrepublik Deutschland genutzt. Anfang der 2000er-Jahre zurückgebaut, blieb nur ein 200 Meter langer Abschnitt der Anlage erhalten. Am Eingang des ehemaligen Kuxbergtunnels befindet sich seit 2008 die Dokumentationsstätte Regierungsbunker. Seit 2013 setzt sich der Bürgerverein Synagoge e.V. Bad Neuenahr-Ahrweiler für die Errichtung einer Gedenkstätte ein. Im November 2017 wurde am ehemaligen Eingang des Trotzenbergtunnels eine Erinnerungsstätte an das Lager „Rebstock“ mit einer Informationstafel errichtet.

Link zum heutigen Standort auf GoogleMaps
Link zum Standort der Erinnerungsstätte auf GoogleMaps

Kontakt:
Dokumentationsstätte Regierungsbunker

Literatur:

Manfred Grieger, „Rebstock“ und „Rebstock (Stephan)“ – zwei Außenlager im Konzentrationslager-System bei Marienthal und Dernau, August bis Dezember 1944, Mainz 2021.


Clément Verfaillie, Georges Raynaud, René Raoulx und Pierre Lebert (von links) nach der Befreiung im tschechischen Rimov, 9. Mai 1945
Clément Verfaillie, Georges Raynaud, René Raoulx und Pierre Lebert (von links) nach der Befreiung im tschechischen Rimov, 9. Mai 1945
©Martine Sambin
„Jeden Morgen vor Tagesanbruch bewegen wir uns auf die Fabrik zu. Der Tunnel am Hügel mit seinem riesigen Betontor verschluckt uns.“

Georges Raynaud

Georges Raynaud wurde am 20. Juli 1923 in Guérigny in Frankreich geboren. Die Gestapo verhaftete den gelernten Radioelektriker im Juni 1944 wegen seiner Teilnahme am französischen Widerstand. Am 20. August 1944 in das KZ Buchenwald deportiert, verließ er zwei Wochen später Buchenwald mit einem Transport nach Dernau und kam von dort dann in das Außenlager Artern des KZ Mittelbau. Er überlebte den Todesmarsch und konnte am 8. Mai 1945 im tschechischen Kaplitz befreit werden. Dort verfasste er Notizen, die später als Grundlage für seine ausformulierten Erinnerungen dienten. Im Juni 1945 kehrte er nach Frankreich zurück und gründete in Guérigny eine Familie. Er engagierte sich viele Jahre für Amnesty International. Er starb 2005 in Clamart.



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