Jena

4. Oktober 1944 – 4. April 1945

Das Lager

Die Deutsche Reichsbahn betrieb in Jena in der Nähe des Saalebahnhofs, rund zwei Kilometer nördlich des Stadtzentrums, ein sogenanntes Reichsbahnausbesserungswerk (RAW). In den Reparaturwerkstätten für Eisenbahnwaggons setzte die Werksleitung ab Oktober 1944 auch KZ-Häftlinge aus Buchenwald ein. Das neu entstandene Außenlager führte die SS unter der Adresse Löbstedter Straße 50. Es wurde in einem bereits bestehenden und zuvor für Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen genutzten Barackenlager eingerichtet, das hierfür erweitert wurde. Die zeitweise über 900 Häftlinge brachte die SS in nur drei Baracken unter. Berichten zufolge gehörten dreistöckige Pritschen mit Strohsäcken zur dürftigen Ausstattung der kaum beheizten Unterkünfte. In dem durch elektrisch geladenen Stacheldrahtzaun und Wachtürme gesicherten Areal befanden sich auch der Wirtschaftstrakt mit Küche und ein Essensraum. Angrenzend standen weitere Gebäude den SS-Wachmannschaften zur Verfügung. Im direkten Umfeld des Barackenlagers waren eine Großbäckerei und ein Gaswerk angesiedelt.

Die Häftlinge

Die ersten 400 Häftlinge aus Buchenwald trafen am Mittwoch, den 4. Oktober 1944, in Jena ein. Durch weitere Überstellungen aus dem Hauptlager erhöhte sich ihre Zahl stetig. Ende Januar erreichte die Belegung des Lagers mit 942 Männern ihren Höchststand. Im Ganzen durchliefen rund 1.050 Häftlinge im Alter zwischen 15 und über 60 Jahren das Außenlager Jena. Der weitaus größte Teil der Männer trug den roten Winkel der politisch Verfolgten. Häftlinge aus der Sowjetunion und Polen bildeten die größten Gruppen. Viele von ihnen waren zuvor als Kriegsgefangene oder Zwangsarbeiter nach Deutschland verschleppt worden. Die übrigen Männer stammten aus Frankreich, der Tschechoslowakei, Belgien, Italien, Deutschland, Österreich und weiteren Ländern. Unter ihnen befanden sich Einzelne, die als Juden oder Sinti und Roma verfolgt wurden. Als Funktionshäftlinge setzte die SS zumeist langjährige deutsche Häftlinge, vielfach Kommunisten, ein. Insgesamt sind 23 Fluchtversuche aus dem Lager belegt. 14 Geflüchtete wurden nicht wiederergriffen. Über ihren Verbleib ist nichts Näheres bekannt.

„Und ich machte auch Pläne, was ein Riesenglück für mich war, dachte nach über literarische und dichterische Vorhaben, über wirtschaftliche, politische oder sonstige; es war meine Ablenkung, meine Flucht aus der Wirklichkeit.“
Max Goldmann
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Zwangsarbeit

Die Häftlinge waren vor allem in den zwei Großhallen des Reichsbahnausbesserungswerks für die Instandsetzung von Güter- und Kesselwaggons tätig. Zu weiteren Arbeitsstätten zählten die Schmiede und die Schlosserei. Deutsche Vorarbeiter des Werks leiteten die Häftlinge an. Neben der Metallverarbeitung mussten Maler-, Holz- und Elektroarbeiten ausgeführt werden. Darüber hinaus setzte die Werksleitung die Häftlinge vermutlich auch bei der Be- und Entladung von Waggons ein. Der Anteil der als Facharbeiter anerkannten Häftlinge schwankte zwischen 20 und über 40 Prozent. Für den Einsatz in Jena waren diese Häftlinge eigens aufgrund ihrer beruflichen Qualifikation in Buchenwald gemustert worden. Gearbeitet wurde in der Regel von montags bis samstags von 6 bis 17.35 Uhr mit zwei Arbeitspausen von insgesamt 45 Minuten, sonntags galt größtenteils als arbeitsfrei. Teilweise arbeiteten die Häftlinge ab November 1944 auch in zwei Schichten. Allein für die Monate Oktober und November 1944 zahlte die Reichsbahn für die in Jena eingesetzten Häftlinge über 443.000 Reichsmark an die SS.

Krankheit und Tod

Im Lager existierte eine notdürftig ausgestattete Krankenstation. Den im russischen Samara geborenen Arzt Michail Terechow setzte die SS als Häftlingsarzt ein. Der politische Häftling Erich Mogk aus dem thüringischen Langensalza unterstützte ihn als Pfleger. Trotz der stetig ansteigenden Belegung wurde das Krankenpersonal vermutlich kaum vergrößert. Die Versorgung der kranken Häftlinge erfolgte in der Regel ambulant. Stationäre Behandlungen blieben die Ausnahme, da die SS schwerer Erkrankte zurück nach Buchenwald brachte. Bis Ende März 1945 sind fünf Tote für das Außenlager in Jena belegt: Zwei polnische Männer starben an Lungenentzündungen. Den 21-jährigen Johann Lysik aus Polen trieb die SS in den Selbstmord. Die beiden sowjetischen Häftlinge Alexej Koschkin (24 Jahre) und Alexej Martynow (20 Jahre) ließ die SS am 6. Januar 1945 vor allen Häftlingen erhängen. Beide waren einige Wochen zuvor aus Jena geflohen, wurden wiederergriffen und hingerichtet, weil sie angeblich Kaninchen gestohlen hatten. Die Leichname überließ die SS dem Pathologisch-Anatomischen Institut der Universität Jena.

Bewachung

Mit dem Anstieg der Häftlingszahl vergrößerte die SS auch die Wachmannschaft in Jena. Umfasste sie im Oktober 1944 noch bis zu 32 Mann, so waren es Ende Februar 76 SS-Männer. Langjährige SS-Angehörige gehörten vermutlich zur Ausnahme. Wie in vielen anderen Außenlagern bestand die Wachmannschaft vielmehr aus älteren Wehrmachtssoldaten, darunter auch sogenannte Volksdeutsche aus Kroatien, die für den Wachdienst in den Konzentrationslagern zur SS überstellt worden waren. Als Kommandoführer setzte die Buchenwalder Lagerführung den SS-Oberscharführer Alfred Zenker (geb. 1892) ein. Er stand seit Mai 1944 im KZ-Dienst, zunächst in Sachsenhausen und Herzogenbusch. Strafrechtliche Verurteilungen wegen der Verbrechen im Außenlager Jena gab es in der Nachkriegszeit nicht.

Räumung

Anfang April 1945 räumte die SS das Außenlager in Jena. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich noch rund 900 Häftlinge vor Ort. Vermutlich am 4. April brachte die SS die Männer mit dem Zug ostwärts. Ziel war das rund 100 Kilometer von Jena entfernte Buchenwalder Außenlager Colditz. In Weißenfels geriet der Transport in einen Luftangriff. Berichten zufolge kam es zu Todesfällen und einigen Fluchten. Zwischen 800 und 850 Männer erreichten schließlich Colditz. Das dortige Lager löste die SS am 14. April auf. Nun wurden die Häftlinge beider Lager zu Fuß über das Erzgebirge nach Nordböhmen in der Tschechoslowakei getrieben. Als ein Teil der Kolonne Leitmeritz (Litoměřice), ein Außenlager des KZ Flossenburg, erreichte, waren sie seit fast zwei Wochen unterwegs. Wie viele Häftlinge aus dem Außenlager Jena dort in den letzten Kriegstagen von der Roten Armee befreit wurden, ist ungewiss. Schätzungen gehen von 100 bis 150 Männern aus, die den Todesmarsch nicht überlebten.

Spuren und Gedenken

Am 9. April 1945, wenige Tage nach der Auflösung des Lagers, zerstörte ein Luftangriff auf den Saalebahnhof und das Reichsbahnausbesserungswerk Teile des Außenlagergeländes. Nach dem Krieg wurden in den noch funktionsfähigen Baracken kurzzeitig ehemalige Zwangsarbeitende untergebracht. Heute sind sowohl das Werks- als auch das Lagergelände überbaut. Seit 2014 erinnert und informiert an der Löbstedter Straße 56 eine Stele über die Deportation und Verfolgung jüdischer Bürger Jenas und über das Buchenwalder Außenlager.

Link zum heutigen Standort auf GoogleMaps
Link zum Standort der Stele auf GoogleMaps

Die Gedenkstele an der Löbstedter Straße 56, 2024. Foto: Maëlle Lepitre
Die Gedenkstele an der Löbstedter Straße 56, 2024. Foto: Maëlle Lepitre ©Gedenkstätte Buchenwald

Literatur:

Marc Bartuschka, Der Arbeitseinsatz von KZ-Häftlingen im Reichsbahnausbesserungswerk und in Einrichtungen der Stadt Jena, in: ders (Hg.), Nationalsozialistische Lager und ihre Nachgeschichte in der StadtRegion Jena. Antisemitische Kommunalpolitik – Zwangsarbeit – Todesmärsche, Jena 2015, S. 199-227.


Max Goldmann, 1940
Max Goldmann, 1940 ©Marcel Goldmann
„Und ich machte auch Pläne, was ein Riesenglück für mich war, dachte nach über literarische und dichterische Vorhaben, über wirtschaftliche, politische oder sonstige; es war meine Ablenkung, meine Flucht aus der Wirklichkeit.“

Max Goldmann

Max Goldmann wurde 1897 in Nazareth (Palästina) in eine jüdische Familie geboren. Ab 1916 studierte er Jura in Beirut und emigrierte 1922 nach Paris, wo er als Anwalt arbeitete. Im Juni 1940 floh er vor dem Einmarsch der Wehrmacht nach Perpignan (Südfrankreich). Dort wurde er Anfang Januar 1944 verhaftet und kurz darauf nach Buchenwald deportiert. Zur Zwangsarbeit kam er in die Außenlager nach Rottleberode und Jena. Nach einem Todesmarsch erlebte er im Mai 1945 in Leitmeritz, dem heutigen Litoměřice, die Befreiung. Nach seiner Rückkehr nach Frankreich arbeitete er bis zu seinem Tod 1957 als Schriftsteller unter dem Namen „Maxime Gam“. 2023 veröffentlichte seine Familie erstmals seinen Bericht über seine Hafterfahrungen.



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