Hasserode

23. Dezember 1944 – 10. April 1945

Das Lager

Um sie vor Fliegerangriffen zu schützen, verlagerte der Junkerskonzern Mitte 1944 Teile seiner Produktion in den Werken in Köthen und Magdeburg nach Hasserode, einem Ortsteil von Wernigerode, nordöstlich des Harzes zwischen Hannover und Halle an der Saale gelegen. Der neue Junkers-Verlagerungsbetrieb erhielt den Tarnnamen Wernig-Werke AG. Für die Verlagerung nutzte man unter anderem eine alte Granit- und Marmorschleiferei in der „Steinernen Renne“, wo die Betriebsleitung KZ-Häftlinge einsetzen wollte. Ende 1944 ließ sie deshalb direkt neben den Werkhallen ein Häftlingslager errichten. Offiziell trug es den Namen „SS-Lager Wernig-Werke Wernigerode/Harz“. Ursprünglich plante man mit weiblichen KZ-Häftlingen, griff dann jedoch auf Männer aus dem nahen Buchenwalder Außenlager bei den Rautal-Werken in Wernigerode zurück. Die ersten Häftlinge richteten das Lager ein, umzäunten es mit Stacheldraht und bauten Wachtürme. Innerhalb des Zauns befanden sich zwei Häftlingsbaracken, eine Werkhalle der ehemaligen Marmorschleiferei und eine Küchenbaracke. Später kam eine weitere große Produktionshalle hinzu, die jedoch nicht mehr in Betrieb genommen wurde. Unmittelbar am Lagereingang befanden sich zwei SS-Baracken.

Die Häftlinge

Die ersten 31 Häftlinge, die ab dem 22. November 1944 das Lager in Hasserode errichteten, kamen täglich aus dem Außenlager bei den Rautal-Werken. Vermutlich wurde das neue Lager erst mit der Überstellung von 500 Häftlingen aus dem wenige Kilometer entfernten Lager in Wernigerode am 23. Dezember 1944 bezogen. Die Belegung des Lagers blieb bis zuletzt stabil. Ende März 1945 befanden sich 502 Häftlinge in Hasserode. Die größte Gruppe unter ihnen bildeten als politische Häftlinge kategorisierte Männer aus der Sowjetunion und Polen. Die übrigen Häftlinge stammten aus Belgien, Frankreich, Jugoslawien, der Tschechoslowakei und Deutschland. Belegt sind mindestens drei Fluchtversuche: Die beiden sowjetischen Häftlinge Nikolaj Schewtschenko und Friedrich Korolenko flohen gemeinsam am 26. Dezember 1944. Nach drei Tagen wurden sie gefasst und zurück nach Buchenwald überstellt. Nikolaj Schewtschenko kam Ende Januar 1945 in das Außenlager Laura in Schmiedebach, sein Verbleib ist unbekannt. Friedrich Korolenko blieb bis zur Befreiung im April 1945 im Hauptlager in Buchenwald.

Zwangsarbeit

Vermutlich ließ die Wernig-Werke AG in Hasserode – wie zuvor in Köthen und Magdeburg – Teile des Strahltriebwerks Jumo 004 produzieren. Mit den neuartigen Antrieben sollten Flugzeuge für die deutsche Luftwaffe ausgestattet werden. Rund 200 Fräs- und Hobelmaschinen sowie Drehbänke wurden hierfür aus Köthen und Magdeburg in die ehemalige Granit- und Marmorschleiferei gebracht. Deutsche Vorarbeiter und Meister lernten dort die Häftlinge an. Etwa ein Drittel von ihnen galt als Facharbeiter, für die das Werk den höheren Tagessatz von sechs Reichsmark an die SS zahlte. Die meisten von ihnen waren (an)gelernte Dreher, Schlosser, Fräser, Bohrer oder auch Maurer. Neben dem Einsatz in der Produktion arbeiteten die Häftlinge am Ausbau des Produktions- und Lagerstandortes: Sie errichteten eine nicht mehr in Betrieb genommene weitere Werkhalle sowie Waschräume. Neben den KZ-Häftlingen setzte die Betriebsleitung in der Produktion auch ausländische Zwangsarbeiter ein. Wie in der Rüstungsproduktion üblich, arbeiteten die KZ-Häftlinge in der Regel an sechs Tagen die Woche in zwölfstündigen Tag- und Nachtschichten. Lediglich einige wenige Sonntage waren arbeitsfrei.

Krankheit und Tod

Für eine notdürftige medizinische Krankenversorgung wurde in einer der Unterkunftsbaracken, in der mehr als 340 Häftlinge schliefen, eine Krankenstation eingerichtet. Einem Bericht an den Lagerarzt in Buchenwald zufolge befanden sich im Februar 1945 im Durchschnitt täglich zehn Häftlinge in stationärer und 30 in ambulanter Behandlung. Die meisten von ihnen litten an Atemwegserkrankungen, Hautkrankheiten oder den Folgen von Arbeitsunfällen. Eine Trennung der Kranken von den Gesunden war aufgrund der beengten Verhältnisse nicht möglich. Für die Betreuung der Kranken setzte die SS dieselben Häftlinge wie zuvor im Außenlager Wernigerode ein: die Häftlingsärzte Frans Bourgeois aus Belgien und Tadeusz Gonta aus Polen. Dauerhaft nicht mehr arbeitsfähige Häftlinge brachte die SS zurück nach Buchenwald. Mindestens zwei Todesfälle sind für Hasserode dokumentiert. Der 24-jährige Marcin Krawczyk aus dem polnischen Opatów starb im März 1945 an einer Bronchopneumonie. Seinen Leichnam ließ die SS einäschern. Der 19-jährige Sergej Ostrowskij aus Odessa in der Ukraine wurde am 20. März 1945 erhängt.

Bewachung

Der Kommandoführer in Hasserode war ein nicht näher zu identifizierender SS-Hauptscharführer namens Hantke. Er war seit Juni 1944 bereits Kommandoführer des Außenlagers Wernigerode gewesen. Ein Ermittlungsverfahren der Zentralen Stelle in Ludwigsburg gegen ihn blieb in der Nachkriegszeit folgenlos. Für die Bewachung des Lagers unterstanden ihm circa 50 SS-Wachposten.

Räumung

Am 10. April 1945 löste die SS das Lager auf und brachte die Häftlinge teils zu Fuß, teils mit Zügen ostwärts. Eine erste Gruppe von etwa 300 Häftlingen blieb in Calbe in Sachsen-Anhalt zurück. Amerikanische Truppen befreiten sie dort Mitte April. Die übrigen Männer wurden weiter nach Süden getrieben und Anfang Mai 1945 im tschechischen Leitmeritz und Budejovice befreit. Wie viele Männer unterwegs ihr Leben verloren, ist nicht bekannt.

Spuren und Gedenken

Auf dem ehemaligen Werks- und Lagergelände sind noch einige Gebäude erhalten, die als Werkhallen dienten. Die Häftlingsbaracken wurden abgerissen. Am ehemaligen Eingangstor des Lagers befinden sich seit 1975 ein Gedenkstein zur Erinnerung an das Außenlager und den Todesmarsch von Hasserode sowie eine zuletzt 2021 erneuerte Informationstafel zur Geschichte des Lagers. 1975 wurde am Veckenstedter Weg auf dem Gelände des ehemaligen Außenlagers Wernigerode die Mahn- und Gedenkstätte Wernigerode errichtet. Sie erinnert auch an das Lager Hasserode.

Link zum heutigen Standort und des Gedenksteins auf GoogleMaps

Kontakt:
Mahn- und Gedenkstätte Wernigerode

Literatur:

Mark Homann, Jenseits des Mythos. Die Geschichte(n) des Buchenwald-Außenkommandos Wernigerode und seiner „Roten Kapos“, Berlin 2020.

Franziska Jahn, Wernigerode („Richard“), in: Wolfgang Benz u. Barbara Distel (Hg.), Der Ort des Terrors. Die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 3: Sachsenhausen, Buchenwald, München 2006, S. 606-609.