Penig (Frauen)

10. Januar 1945 – 15. April 1945

Das Lager

Die Firma Max Gehrt war ein seit 1936 in der sächsischen Kleinstadt Penig ansässiger Altstoffhandel. 1944 zu einem Rüstungsbetrieb, der Flugzeugteile für die Junkers-Flugzeug- und Motorenwerke AG herstellte, umgewandelt, ließ die Firmenleitung im selben Jahr an einer Sandgrube im Ortsteil Langenleuba-Oberhain ein Barackenlager bauen. Das rund vier Kilometer vom Werk im Stadtzentrum entfernte Lager diente zunächst Zwangsarbeitenden aus der Sowjetunion als Unterkunft. Nachdem die Max-Gehrt-Werke die Genehmigung zum Einsatz von KZ-Häftlingen erhalten hatte, ließ die Leitung das Lager im Januar 1945 zum KZ-Frauenaußenlager umfunktionieren – mit einem Zaun und sechs Wachtürmen. Bei der Ankunft der Frauen waren die Unterkünfte mit ihren Schlaf- und Gemeinschaftsräumen bereits abgenutzt. Die Frauen schliefen in dreistöckigen Betten. Waschmöglichkeiten gab es keine und Brennmaterial für die Öfen nur selten. Das Essen wurde täglich vom Werk in der Stadt ins Lager gebracht.

Das umzäunte Barackenlager in Langenleuba-Oberhain, April 1945 (nach der Befreiung)
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Das umzäunte Barackenlager in Langenleuba-Oberhain, April 1945 (nach der Befreiung) ©National Archives at College Park, Maryland
Amerikanische Armeefahrzeuge im Lagergelände, 17. April 1945. Im Hintergrund der Lagerzaun und einer der Wachtürme. Foto: David E. Scherman
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Amerikanische Armeefahrzeuge im Lagergelände, 17. April 1945. Im Hintergrund der Lagerzaun und einer der Wachtürme. Foto: David E. Scherman ©Gedenkstätte Buchenwald
Schild am Lagerzaun mit der Aufschrift: „Hochspannung. Vorsicht Lebensgefahr“, 17. April 1945. Foto: David E. Scherman
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Schild am Lagerzaun mit der Aufschrift: „Hochspannung. Vorsicht Lebensgefahr“, 17. April 1945. Foto: David E. Scherman ©Gedenkstätte Buchenwald

Die Häftlinge

Die SS belegte das Lager in Langenleuba-Oberhain am 10. Januar 1945 mit 700 weiblichen Häftlingen. Alle Frauen stammten aus jüdischen Familien in Budapest und der Umgebung. Im Zuge der letzten Deportationen aus Ungarn waren sie im November 1944 aus ihrer Heimat verschleppt worden. Teils zu Fuß hatte man die Frauen in tagelangen Gewaltmärschen an die deutsch-ungarische Grenze getrieben. Von dort deportierte die SS sie in Viehwaggons in das KZ Ravensbrück, wo sie Anfang Dezember 1944 entkräftet und krank eintrafen. Viele litten an Erfrierungen. Für die Manager der Gehrt-Werke galten sie jedoch als gesund genug, um sie weiter auszubeuten. Die jüngste unter ihnen war erst 13 Jahre alt. Eine Woche später brachte die SS drei weitere jüdische Häftlinge aus Ravensbrück nach Penig: das Personal für die Krankenstation. An der Belegung des Lagers änderte sich bis Anfang April nicht viel. Einige Tage vor der Räumung schickte die SS Häftlinge aus dem geräumten Frauenaußenlager in Abteroda nach Penig.

„Ich war schon monatelang sehr schwach und auch abgemagert. Während der Nacht bekam ich plötzlich ein Ödem. Mein Gesicht und meine Augen waren geschwollen, ich hatte es gar nicht bemerkt.“
Rosa Deutsch
Zum Erinnerungsbericht

Zwangsarbeit

In ihrem Werk im Stadtzentrum von Penig stellte die Firma Max Gehrt Kleinteile für die Flugzeugproduktion der Junkers AG her. Die Manager der Firma waren eigens nach Ravensbrück gefahren, um mitzuentscheiden, welche Frauen die SS nach Penig schickte. Im Werk arbeiteten die Frauen in verschiedenen Abteilungen: einige als Schreibkräfte in den Büros, andere in der Werksküche. Der Großteil von ihnen kam jedoch in die Produktion – mit drei jeweils achtstündigen Schichten. Beaufsichtigt und angetrieben von zivilen Vorarbeitern und SS-Aufseherinnen bediente ein Teil der Frauen die Fertigungsmaschinen, andere prüften die fertigen Werkstücke auf Fehler. Sonntagsruhe oder arbeitsfreie Tage gewährte die Firma den Frauen nicht. Vor und nach der Arbeit mussten sie die rund vier Kilometer zu Fuß zurücklegen, die das Werk vom Lager trennten. Die täglichen Fußmärsche verschärften das Leid der ohnehin geschwächten Frauen einmal mehr.

Krankheit und Tod

Im Lager herrschten katastrophale hygienische Verhältnisse: unzureichende sanitäre Einrichtungen und keinerlei Waschmöglichkeiten, die Kleidung konnte nicht gewechselt werden und die Nahrung reichte nicht aus. Der ohnehin schlechte Gesundheitszustand der Frauen verschlechterte sich rapide. Eine medizinische Versorgung war so gut wie nicht vorhanden. Zwar gab es eine Krankenstation, die dort als Häftlingsärztin eingesetzte Zahnärztin Margit Kallos und die beiden Pflegerinnen konnten den Kranken jedoch fast nicht helfen. Lungenentzündungen, Fälle von Grippe und Tuberkulose grassierten. Viele Frauen litten an Wundrosen und Furunkeln. Die Zahl der Kranken war von Beginn an hoch und steigerte sich immer mehr: Im Januar 1945 befanden sich 36 Frauen und im März bereits 115 Frauen jeden Tag in Behandlung. Bis Ende März meldete das Lager zehn Todesfälle. Weitere Frauen starben in den Tagen danach. Die Toten ließ die SS auf dem Lagergelände verscharren. Die sterblichen Überreste von 14 Frauen wurden dort nach der Befreiung exhumiert.

Bewachung

Die Wachmannschaft in Penig bestand – Stand März 1945 – aus 40 SS-Männern für die äußere Bewachung des Lagers und 17 SS-Aufseherinnen. Letztere kontrollierten die Frauen im Lagerinneren und während der Arbeit im Werk. Sie hatten eine Kurzausbildung zur Aufseherin im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück durchlaufen. Manche von ihnen waren zuvor bereits in anderen Frauenaußenlagern eingesetzt gewesen, etwa in Sömmerda oder Markkleeberg. Das Kommando vor Ort führte SS-Hauptscharführer Josef Ebenhöh (1914-1951). Er stammte aus dem Sudetenland, trat 1938 der SS bei und kommandierte zuvor bereits das Außenlager in Langensalza.
Nach dem Krieg wurde Josef Ebenhöh im sowjetischen Speziallager Nr. 1 in Sachsenhausen inhaftiert. Er starb 1951 in der Strafvollzugsanstalt Untermaßfeld in Thüringen. Ermittlungen der Zentralen Stelle in Ludwigsburg zum Außenlager Penig blieben in den 1970er-Jahren ergebnislos.

Räumung und Befreiung

Mitte April 1945 löste die SS das Lager auf und schickte die Frauen nach Süden. Sie marschierten durch Mittweida und Chemnitz in Richtung Tschechoslowakei. Vermutlich wurden die Marschkolonnen unterwegs getrennt. Amerikanische Truppen befreiten die meisten der Frauen bei Litoměřice. Eine kleine Gruppe von 34 Frauen trieb die SS weiter bis nach Theresienstadt, wo sie am 20. April 1945 ankamen.
Die SS hatte etwa 80 todkranke Frauen im Lager in Penig zurückgelassen. Soldaten der Panzerdivision der Dritten U.S. Army fanden sie dort am 15. April 1945 vor. Sanitäter und Sanitäterinnen kümmerten sich um die Frauen und brachten sie in ein ehemaliges Luftwaffenlazarett in Altenburg. Fotos und Filmaufnahmen dokumentierten die Situation im befreiten Lager und den Transport der Frauen in das Lazarett.

Rettung der Kranken

Sanitäter der U.S. Army versorgen eine Überlebende in Penig, 17. April 1945. Foto: David E. Scherman
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Sanitäter der U.S. Army versorgen eine Überlebende in Penig, 17. April 1945. Foto: David E. Scherman ©Gedenkstätte Buchenwald
Major Clayton Wasson, Sanitätsoffizier der 6. Panzerdivision der Dritten U.S. Army, versorgt eine Überlebende in Penig, 17. April 1945. Foto: David E. Scherman
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Major Clayton Wasson, Sanitätsoffizier der 6. Panzerdivision der Dritten U.S. Army, versorgt eine Überlebende in Penig, 17. April 1945. Foto: David E. Scherman ©Gedenkstätte Buchenwald
Sanitäter tragen eine Überlebende auf einer Trage an einer der Unterkunftsbaracken vorbei, 17. April 1945. Foto: David E. Scherman
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Sanitäter tragen eine Überlebende auf einer Trage an einer der Unterkunftsbaracken vorbei, 17. April 1945. Foto: David E. Scherman ©Gedenkstätte Buchenwald
Zwei Sanitäter stützen eine Überlebende auf ihrem Weg aus einer Baracke zum Krankenwagen, 17. April 1945. Foto: David E. Scherman
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Zwei Sanitäter stützen eine Überlebende auf ihrem Weg aus einer Baracke zum Krankenwagen, 17. April 1945. Foto: David E. Scherman ©Gedenkstätte Buchenwald
Eine Überlebende wird von Sanitätern zu einem der Krankenwagen getragen, 17. April 1945. Foto: David E. Scherman
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Eine Überlebende wird von Sanitätern zu einem der Krankenwagen getragen, 17. April 1945. Foto: David E. Scherman ©Gedenkstätte Buchenwald
Ankunft der Überlebenden im Militärlazarett in Altenburg, 17. April 1945. Foto: David E. Scherman
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Ankunft der Überlebenden im Militärlazarett in Altenburg, 17. April 1945. Foto: David E. Scherman ©Gedenkstätte Buchenwald
Überlebende und U.S.-Sanitäter vor dem ehemaligen Luftwaffenlazarett in Altenburg, 17. April 1945. Foto: David E. Scherman
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Überlebende und U.S.-Sanitäter vor dem ehemaligen Luftwaffenlazarett in Altenburg, 17. April 1945. Foto: David E. Scherman
©Gedenkstätte Buchenwald
Eine Überlebende in einem Krankenbett im Lazarett in Altenburg im Gespräch mit Lieutenant Colonel J. W. Branch, Sanitätsoffizier der 6. Panzerdivision der Dritten U.S. Army, 17. April 1945. Foto: David E. Scherman
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Eine Überlebende in einem Krankenbett im Lazarett in Altenburg im Gespräch mit Lieutenant Colonel J. W. Branch, Sanitätsoffizier der 6. Panzerdivision der Dritten U.S. Army, 17. April 1945. Foto: David E. Scherman ©Gedenkstätte Buchenwald
Überlebende des Außenlagers Penig vor dem Lazarett in Altenburg, 17. April 1945.Foto: David E. Scherman
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Überlebende des Außenlagers Penig vor dem Lazarett in Altenburg, 17. April 1945. Foto: David E. Scherman ©Gedenkstätte Buchenwald

Portraits von David E. Scherman und Samuel Gilbert

Überlebende des Außenlagers Penig, 17. April 1945. Foto: David E. Scherman
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Überlebende des Außenlagers Penig, 17. April 1945. Foto: David E. Scherman ©Gedenkstätte Buchenwald
Überlebende des Außenlagers Penig, 17. April 1945.Foto: David E. Scherman
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Überlebende des Außenlagers Penig, 17. April 1945. Foto: David E. Scherman ©Gedenkstätte Buchenwald
Überlebende des Außenlagers Penig, 17. April 1945.Foto: David E. Scherman
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Überlebende des Außenlagers Penig, 17. April 1945. Foto: David E. Scherman ©Gedenkstätte Buchenwald
Überlebende des Außenlagers Penig, 17. April 1945.Foto: David E. Scherman
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Überlebende des Außenlagers Penig, 17. April 1945. Foto: David E. Scherman ©Gedenkstätte Buchenwald
Überlebende des Außenlagers Penig, 17. April 1945. Foto: Samuel Gilbert (U.S. Army Signal Corps)
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Überlebende des Außenlagers Penig, 17. April 1945. Foto: Samuel Gilbert (U.S. Army Signal Corps) ©National Archives at College Park, Maryland
Überlebende des Außenlagers Penig, 17. April 1945. Foto: Samuel Gilbert (U.S. Army Signal Corps)
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Überlebende des Außenlagers Penig, 17. April 1945. Foto: Samuel Gilbert (U.S. Army Signal Corps) ©National Archives at College Park, Maryland
Überlebende des Außenlagers Penig, 17. April 1945. Foto: Samuel Gilbert (U.S. Army Signal Corps)
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Überlebende des Außenlagers Penig, 17. April 1945. Foto: Samuel Gilbert (U.S. Army Signal Corps) ©National Archives at College Park, Maryland
Überlebende des Außenlagers Penig, 17. April 1945. Foto: Samuel Gilbert (U.S. Army Signal Corps)
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Überlebende des Außenlagers Penig, 17. April 1945. Foto: Samuel Gilbert (U.S. Army Signal Corps) ©National Archives at College Park, Maryland
Überlebende des Außenlagers Penig, 17. April 1945. Foto: Samuel Gilbert (U.S. Army Signal Corps)
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Überlebende des Außenlagers Penig, 17. April 1945. Foto: Samuel Gilbert (U.S. Army Signal Corps) ©National Archives at College Park, Maryland

Spuren und Gedenken

Die 14 im Lager verscharrten Toten wurden im September 1945 exhumiert und auf dem Friedhof in Langenleuba-Oberhain würdig begraben. Nach einer kurzen Nachnutzung der Baracken des Lagers und dem folgenden Abriss, befindet sich heute eine Reitsportanlage auf dem Gelände. Die Fabrikhallen in Penig, in denen die Frauen arbeiten mussten, wurden 2011 abgerissen. Am ehemaligen Lagerstandort erinnert seit 1967 ein Gedenkstein an das Außenlager. Seit 2013 setzt sich die Initiative „Gesicht zeigen – Netzwerk für demokratisches Handeln“ für die Aufarbeitung und Erinnerung der nationalsozialistischen Verbrechen im regionalen Raum Penig ein und führt vielfältige Projekte durch: So konnten Informationstafeln am ehemaligen Lagerstandort und auf dem Gelände der Max-Gehrt-Werke errichtet werden. Seit 2021 benennt auf dem Friedhof in Langenleuba-Oberhain eine Gedenktafel die Namen der dort bestatteten Frauen. Auf der Webseite zum Erinnerungsort Penig sind umfangreiche Informationen zum Außenlager abrufbar.

Link zum heutigen Standort auf GoogleMaps
Link zum Standort des Gedenksteins auf GoogleMaps
Link zum Standort des Friedhofs in Langenleuba-Oberhain auf GoogleMaps

Kontakt:
Bürger_inneninitiative Gesicht zeigen

Literatur:

„Oft haben wir Gras gegessen“, Die Geschichte des Frauen-KZ-Außenlagers Penig, Bürger_inneninitiative Gesicht zeigen - Netzwerk für demokratisches Handeln; Bon Courage e.V. 2021.


Rosa Deutsch nach der Befreiung in Penig, 17. April 1945 (Ausschnitt). Foto: David E. Scherman
Rosa Deutsch nach der Befreiung in Penig, 17. April 1945 (Ausschnitt). Foto: David E. Scherman ©Gedenkstätte Buchenwald
„Ich war schon monatelang sehr schwach und auch abgemagert. Während der Nacht bekam ich plötzlich ein Ödem. Mein Gesicht und meine Augen waren geschwollen, ich hatte es gar nicht bemerkt.“

Rosa Deutsch

Rosa Deutsch wurde am 9. April 1926 in Budapest (Ungarn) geboren. Sie wuchs in einer jüdischen Familie auf. Im November 1944 musste sich die Abiturientin bei einer Ziegelfabrik am Stadtrand melden. Mit Tausenden Jüdinnen und Juden trieb man sie von dort zu Fuß zur deutschen Grenze. Die SS brachte sie über das KZ Ravensbrück im Januar 1945 nach Penig. Dort erkrankte sie lebensgefährlich. Als die SS das Lager räumte, blieb sie mit anderen kranken Frauen zurück. Die eintreffenden amerikanischen Soldaten retteten ihr Leben. Nach Monaten im Lazarett, kehrte sie im Sommer 1945 zur ihren Eltern nach Budapest zurück. Sie studierte später Chemie, gründete eine Familie und arbeitete in einer Lampenfabrik. Rosa Deutsch starb 2016 in Budapest.



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