Weimar

11. Oktober 1943 – 4. April 1945

Das Lager

Die NS-Industriestiftung Gustloff-Werke war ein Partei- und Staatsbetrieb mit Sitz in Weimar. Im Norden Weimars, an der Kromsdorfer Straße, betrieb sie eine Waffenfabrik, das Fritz-Sauckel-Werk, mitunter auch nur Gustloff-Werk genannt. Neben Tausenden Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen aus dem deutsch besetzten Europa mussten in dem Werk seit Februar 1942 auch KZ-Häftlinge aus Buchenwald arbeiten. Zunächst wurden sie täglich aus dem Lager nach Weimar gebracht. Im Oktober 1943 bezogen über 300 Häftlinge dann ein erstes Barackenlager auf dem Werksgelände. Die vier Holzbaracken mit Küche und Wasserstelle waren von einem drei Meter hohen Stacheldrahtzaun und Wachtürmen umgeben; später als „altes Lager“ bezeichnet. Aufgrund steigender Häftlingszahlen ließ die SS im Herbst 1944 ein zweites Barackenlager errichten: das „große“ oder „neue Lager“. Dieses bestand zuletzt aus zwölf Holzbaracken mit einem elektrisch geladenen Stacheldraht und fünf Wachtürmen umgeben. Bei der Bombardierung des Gustloff-Werks am 9. Februar 1945 wurde das „alte Lager“ vollständig zerstört. Im „neuen Lager“ traf es Wohnbaracken, die Häftlingsküche und das Magazin. Das Außenlager blieb dennoch bestehen.

Das weitgehend zerstörte Areal des Fritz-Sauckel-Werks, 19. Juni 1945. Unterhalb der Baracken in der Bildmitte das fast vollständig beräumte Gelände des „alten Lagers“, oben rechts neben der großen Halle der Werkzeugmaschinenfabrik die Gebäude des „neuen Lagers“.
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Das weitgehend zerstörte Areal des Fritz-Sauckel-Werks, 19. Juni 1945. Unterhalb der Baracken in der Bildmitte das fast vollständig beräumte Gelände des „alten Lagers“, oben rechts neben der großen Halle der Werkzeugmaschinenfabrik die Gebäude des „neuen Lagers“. ©National Archives at College Park, Maryland
Das weitgehend zerstörte Areal des Fritz-Sauckel-Werks, 19. Juni 1945. Im Vordergrund einige Gebäude des „neuen Lagers“.
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Das weitgehend zerstörte Areal des Fritz-Sauckel-Werks, 19. Juni 1945. Im Vordergrund einige Gebäude des „neuen Lagers“. ©National Archives at College Park, Maryland
Blick über das „neue Lager“ zur Halle der Werkzeugmaschinenfabrik, 19. Juni 1945. Im Vordergrund Bombentrichter vom Luftangriff auf das Werk Anfang Februar 1945.
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Blick über das „neue Lager“ zur Halle der Werkzeugmaschinenfabrik, 19. Juni 1945. Im Vordergrund Bombentrichter vom Luftangriff auf das Werk Anfang Februar 1945. ©National Archives at College Park, Maryland

Die Häftlinge

Die SS belegte das „alte Lager“ am 11. Oktober 1943 erstmals mit 349 Häftlingen. Bis zum Jahresende erhöhte sich die Zahl der Häftlinge durch Überstellungen aus dem nahegelegenen Hauptlager auf 620, Mitte 1944 überschritt sie erstmals die 1.000. Nach dem Bau des zweiten Barackenlagers stieg die Belegung des „Kommandos Gustloff-Werk Weimar“ – so die offizielle Bezeichnung des Außenlagers – weiter. Seine höchste Belegung erreichte es Ende 1944 mit 2.290 Männern. Nach dem Luftangriff im Februar 1945 sank die Zahl der Häftlinge auf durchschnittlich rund 1.500. Regelmäßig ließ die Werksleitung kranke oder angeblich nicht geeignete Männer austauschen. Die in Weimar eingesetzten Häftlinge stammten überwiegend aus der Sowjetunion, aus Polen, der Tschechoslowakei, Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Spanien und Deutschland. Fast alle galten als politische Häftlinge. Der Anteil von Facharbeitern aus metallverarbeitenden Berufen unter ihnen war relativ hoch. Die zentralen Posten in der internen Verwaltung des Außenlagers besetzte die SS überwiegend mit deutschen politischen Häftlingen um den Lagerältesten August Stötzel aus Bochum.

„Unser Lager ist klein und die Baracken sind schmutzig; in der Nähe die Bahngleise, ein groẞes Getreidesilo und eine Siedlung mit Arbeiterhäusern. Auf der anderen Seite der Straẞe ein groẞer Sportplatz mit einer Laufbahn.“
Joseph Onfray
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Zwangsarbeit

Zum Weimarer Werk gehörten eine Waffenfabrik und eine Werkzeugmaschinenfabrik. Schwerpunkte der Produktion waren Gewehre, Geschützteile und Drehbänke. Seit Mitte Oktober 1943 arbeiteten die Häftlinge von Montag bis Freitag in zwei Schichten, samstags halbtags und mitunter auch sonntags. Die durchschnittliche Arbeitszeit betrug elf Stunden je Schicht. Anfangs setzte die Werksleitung die Häftlinge in der Produktion von Gewehren, Minenwerfern und Drehbänken ein, bald darauf aber in fast allen Abteilungen des Werks; die meisten als Schlosser, Fräser, Dreher oder Einrichter. Ende 1943 führte die Werkleitung ein „Leistungsblatt“ für Häftlinge ein. Mit Prämien sollten sie zu besseren Leistungen motiviert werden. Nichterfüllung der vorgegebenen Normen zog Bestrafung nach sich. Prügelstrafen im Außenlager sind belegt. Neben der Arbeit im Werk waren Häftlinge für den Betrieb der beiden Teillager eingesetzt. Sie arbeiteten als Lager- und Blockälteste, Stubendienste, beim Lagerschutz – eine Art Lagerpolizei –, als Friseure, Schreiber oder Schuster.

Krankheit und Tod

Die Werksleitung beteiligte sich weder an der Verpflegung noch an der medizinischen Versorgung der Häftlinge. Die Verpflegung war vom nahegelegenen Hauptlager abhängig und den dortigen Schwankungen unterworfen. Vor Ort gab es nur eine ambulante medizinische Betreuung durch den belgischen Häftlingsarzt Jean Gillain und drei Sanitäter. Dr. Fritz Otto, der als Zahnarzt tätige Weimarer Vertragsarzt, unterstützte die Häftlinge illegal mit Medikamenten. Die Versorgung bei Arbeitsunfällen oder von schweren Erkrankungen übernahm der Häftlingskrankenbau des Hauptlagers. Dadurch gab es bis zum Bombardement am 9. Februar 1945 keine Sterbefälle im Außenlager. Während des Luftangriffs kamen 356 Häftlinge ums Leben. Die Werksleitung hatte angewiesen, dass Häftlinge bei Fliegeralarm weiterarbeiten mussten und erst nach Einschlag der Bomben Schutz suchen durften. Da der Angriff mittags erfolgte, befanden sich die meisten Häftlinge der Nachtschicht in den zwei Barackenlagern, die schwer zerstört wurden. Die SS ließ die Toten im Krematorium in Buchenwald verbrennen.

Bewachung

SS-Oberscharführer Peter Merker (1891-1980), seit 1939 im KZ Buchenwald eingesetzt, fungierte von Oktober 1943 bis Ende Februar 1945 als Kommandoführer im Außenlager Weimar. Nach seiner Versetzung in das Außenlager Weferlingen übernahm SS-Hauptscharführer Bernhard Rakers (1905-1980) den Posten. Zuvor war er einige Jahre im KZ Auschwitz tätig. Im September 1944 bestand die Bewachung aus 41 SS-Männern. Angehörige des Werkschutzes verstärkten die Aufsicht im Betrieb.
Peter Merker wurde 1947 vor einem amerikanischen Militärgericht in Dachau angeklagt und zum Tode verurteilt. Nach zwei Urteilsrevisionen 1948 und 1950 konnte er Anfang der 1950er-Jahre die Haftanstalt in Landsberg verlassen. Mindestens zwei verantwortliche Angehörige des Fritz-Sauckel-Werks waren Insassen des sowjetischen Speziallagers Nr. 2 in Buchenwald.

Räumung

Anfang März 1945 verlegte die SS 154 Häftlinge in die unterirdische Produktionsstätte der Gustloff-Werke im Schacht Burggraf bei Billroda. Die übrigen rund 1.600 in Weimar verbliebenen Häftlinge brachte die SS am 3. und 4. April zurück in das Hauptlager auf dem Ettersberg.

Spuren und Gedenken

Nach der Enteignung und teilweise Demontage etablierte sich im ehemaligen Fritz-Sauckel-Werk in den Jahren der DDR ein Betrieb des Landmaschinenbaus. Einzelne Produktionshallen, darunter die Halle der Werkzeugmaschinenfabrik („KET-Halle“), wurden weitergenutzt. Im Gelände des Betriebes befand sich seit den 1960er-Jahren ein Gedenkstein für die beim Luftangriff umgekommenen ausländischen Zwangsarbeiter. Dieser steht seit den 1990er-Jahren in einem Grünstreifen an der heutigen Andersenstraße/Ecke Kromsdorfer Straße. Jährlich am 9. Februar finden dort Gedenkveranstaltungen für die Opfer des Luftangriffs statt, die vom Bürgerbündnis gegen Rechtsextremismus, dem Weimarer Dreieck e. V. und der Stadt ausgerichtet werden. Bauliche Überreste der zwei Barackenlager gibt es nicht. Seit 2025 informiert zusätzlich eine Tafel über die Geschichte des Ortes. Die Initiative „1000 Buchen für Buchenwald“ des Lebenshilfe-Werks Weimar-Apolda hat im Umfeld des Gedenksteins mehrere Bäume gepflanzt, die an Buchenwald-Häftlinge erinnern.

Link zum heutigen Standort auf GoogleMaps
Link zum Standort der Informationstafel und des Gedenksteins auf GoogleMaps

Literatur:

Marc Bartuschka, „Im Schoß der deutschen Kultur“. Ausländische Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene in Weimar 1939-1945, Weimar 2020.


Joseph Onfray nach seiner Einweisung in das KZ Buchenwald (Ausschnitt der Häftlingspersonalkarte), Mai 1944. Foto: Erkennungsdienst der SS
Joseph Onfray nach seiner Einweisung in das KZ Buchenwald (Ausschnitt der Häftlingspersonalkarte), Mai 1944. Foto: Erkennungsdienst der SS ©Arolsen Archives
„Unser Lager ist klein und die Baracken sind schmutzig; in der Nähe die Bahngleise, ein groẞes Getreidesilo und eine Siedlung mit Arbeiterhäusern. Auf der anderen Seite der Straẞe ein groẞer Sportplatz mit einer Laufbahn.“

Joseph Onfray

Joseph Onfray kam am 9. Oktober 1907 in Paris zur Welt und lebte ab 1941 mit seiner Frau und seinen Kindern in Alençon in der Normandie. Als Widerstandskämpfer wurde der Agronom im November 1943 verhaftet und ein halbes Jahr später nach Buchenwald deportiert. Ab Oktober 1944 musste er als Elektriker im Gustloff-Werk in Weimar arbeiten, wo er bis zur Räumung des Lagers blieb. Auf einem Todesmarsch gelang ihm Ende April 1945 in der Nähe von München die Flucht. Nach der Rückkehr zu seiner Familie war er weiter als Ingenieur tätig. Auf der Grundlage von Notizen aus seiner Haftzeit verfasste Joseph Onfray bereits 1946 einen Bericht über seine Erfahrungen während der Deportation. Er starb 1974 in Semallé bei Alençon.



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