Flöẞberg

28. Dezember 1944 – 13. April 1945

Das Lager

Weitab der Ziele alliierter Bomber ließ das Leipziger Rüstungsunternehmen Hugo-Schneider-AG (HASAG) ab Ende November 1944 in der Nähe des sächsischen Dorfes Flößberg ein umzäuntes Barackenlager errichten. Umgeben war das aus mehreren Holzbaracken bestehende Lager von einem Wald, Wiesen und Ackerflächen. Dennoch lag es verkehrsgünstig. Die Bahnstrecke zwischen Borna und Bad Lausick grenzte an das Lager; die Straße zwischen Flößberg und Beucha führte direkt am Lagerzaun entlang. Die geplanten Produktionsstandorte befanden sich im unmittelbar an das Lager angrenzenden Wald. Berichten zufolge waren die auf sumpfigen Untergrund errichteten Baracken nur notdürftig ausgestattet. Vor allem mangelte es an sanitären Anlagen und Waschgelegenheiten. Von außen ließ sich das Lager sehr gut einsehen. Das entstehende HASAG-Werk und das Häftlingslager wurden schnell zum „Ausflugsziel der Flößberger“, so der örtliche Pfarrer Anfang Februar 1945 in seinem Tagebuch.

Die Häftlinge

Der erste Transport mit 150 Männern aus dem KZ Buchenwald traf am 28. Dezember 1944 in Flößberg ein. Fast alle von ihnen waren ungarische Juden, erst wenige Tage zuvor nach Buchenwald deportiert. Durch weitere Überstellungen aus Buchenwald und den HASAG-Außenlagern in Leipzig-Schönefeld und Schlieben erreichte die Zahl der Häftlinge Anfang März 1945 einen kurzzeitigen Höchststand von 1.455. Insgesamt durchliefen rund 1.900 Häftlinge im Alter von 16 bis 50 Jahren das Lager. Der weitaus größte Teil von ihnen waren jüdische Häftlinge aus Ungarn und Polen. Viele der aus Polen stammenden Männer hatten bereits zuvor in den geräumten Werken der HASAG in Polen Zwangsarbeit leisten müssen. Hinzu kamen nicht jüdische Häftlinge aus einer Vielzahl europäischer Länder. In der Buchenwalder Lagerverwaltung galt Flößberg als eines der „jüdischen Außenkommandos“.

Erinnerungsberichte

Izrael Jurek Rotbalsam, der ab Februar 1945 in Flößberg als einer von vier Lagerärzten eingesetzt wurde, und Stephen P. Casey, gelernter Elektriker, haben ihre Erinnerungen an Flößberg und den Transport nach Mauthausen bereits früh niedergeschrieben.

 

Zwangsarbeit

Flößberg war das siebte Außenlager des KZ Buchenwald, das im letzten Kriegsjahr für die HASAG eingerichtet wurde. Offiziell hieß es „SS-Arbeitskommando Flößberger Metallwerke“. In einem neuen Werk sollten Panzerfäuste mit Sprengstoff befüllt werden. Ob und in welchem Ausmaß die Produktion überhaupt anlief, ist unklar. Denn in erster Linie glich das HASAG-Werk einer Baustelle. Aus dem Nichts mussten die Häftlinge in Schwerstarbeit den Fabrikkomplex und das Häftlingslager errichten. Beaufsichtigt von Zivilangestellten der HASAG, verlegten sie Gleise, transportierten Baustoffe, bauten Hallen und Baracken oder montieren Maschinen. Gearbeitet wurde von 7 bis 18 Uhr, sonntags bis 16 Uhr. Arbeitsfreie Tage gab es nicht. Ein Luftangriff zerstörte Anfang März 1945 die Produktionsanlagen. Bis zur Räumung des Lagers arbeiteten die Häftlinge an ihrem Wiederaufbau.

Krankheit und Tod

Mehrere Häftlingsärzte und -pfleger kümmerten sich in der Krankenstation des Lagers um die Kranken und Verletzten. Ihre Möglichkeiten zu helfen, waren jedoch sehr eingeschränkt. Die körperliche Schwerstarbeit und die schlechte Ernährung führten bei den Häftlingen sehr schnell zum körperlichen Verfall. Über 570 nicht mehr arbeitsfähige Häftlinge schickte die Lagerführung zwischen Ende Januar und Anfang März 1945 mit vier sogenannten Invalidentransporten zurück nach Buchenwald, wo über 260 von ihnen starben. Auch die Sterblichkeitsrate vor Ort war hoch. Bis Anfang April 1945 meldete die Lagerleitung aus Flößberg 187 Tote an das Stammlager Buchenwald. In den Tagen bis zur Räumung des Lagers kamen weitere hinzu. Die ersten Toten ließ die SS im Krematorium des Leipziger Südfriedhofs einäschern. Später wurden die Leichname zur Verbrennung in das Krematorium nach Buchenwald gebracht. In den Wochen vor der Auflösung des Lagers befahl die SS, die Toten in Massengräbern im Wald neben dem Lager zu verscharren.

Bewachung

Der ehemalige Buchenwalder Schutzhaftlagerführer Wolfgang Plaul (1909-1945) hatte als Kommandoführer des größten HASAG-Außenlagers in Leipzig-Schönefeld gleichzeitig die Aufsicht über alle weiteren Außenlager der HASAG, so auch über Flößberg. Vor Ort fungierte zunächst SS-Obersturmführer Gustav Strese (1893-1979) als Kommandoführer, der davor u.a. im Außenlager Wewelsburg und im KZ Bergen-Belsen Dienst getan hatte. Im Februar 1945 löste ihn SS-Oberscharführer Heinrich Lütscher (1903-1980) ab. Zuvor war er im KZ Mauthausen und im Außenlager Schlieben tätig gewesen. Die Wachmannschaft vor Ort bestand Mitte März 1945 aus 95 SS-Männern – ein großer Teil von ihnen sogenannte volksdeutsche SS-Freiwillige sowie an die SS überstellte Wehrmachtsoldaten.
Ein US-Militärgericht verurteilte Heinrich Lütscher wegen Verbrechen im KZ Mauthausen und seiner Beteiligung am Räumungstransport aus Flößberg 1947 zu drei Jahren Zuchthaus. Ein Wiener Volksgericht verhängte 1947 über den ehemaligen Funktionshäftling Anton Krailer wegen Verbrechen in Flößberg eine Freiheitsstrafe von 16 Monaten. Bereits 1945 verhafteten Sowjetische Behörden Wolfgang Plaul. Ein sowjetisches Militärtribunal verurteilte ihn im selben Jahr zum Tode.

Räumung

Am 10. April 1945 befanden sich noch 1.144 Häftlinge in Flößberg. Am 12. oder 13. April erfolgte die Räumung des Lagers per Bahn. Die Fahrt in Güterwaggons verlief über Chemnitz, Annaberg und weiter über tschechisches Gebiet in Richtung des KZ Mauthausen. Die Fahrt scheint wiederholt unterbrochen worden zu sein. Erst am 28. April 1945 erreichte der Zug Gusen in Österreich. Die Überlebenden trieb die SS von dort in das nahegelegene KZ Mauthausen. Am 5. Mai wurden sie von amerikanischen Truppen befreit. Verpflegung gab es während der mehr als zweiwöchigen Fahrt nur selten. Viele der in die übervollen Waggons gepferchten Häftlinge verhungerten oder verdursteten. Die genaue Zahl der während der Fahrt Gestorbenen oder von der SS Erschossenen ist unbekannt. Überlebende berichteten später von Hunderten Toten, die während der Fahrt an verschiedenen Orten zurückgelassen wurden.

Spuren und Gedenken

Das Werksgelände und das Barackenlager wurden nach Kriegsende geplündert, der Bereich des ehemaligen Lagers später umgepflügt. Amerikanische Soldaten fanden im April 1945 die Massengräber unweit des Lagers. 98 Leichen ließen sie exhumieren und in Borna beisetzen. Für weitere 38 Tote, die im Sommer 1945 entdeckt worden waren, wurde vor Ort eine Grabanlage angelegt. 1952/53 errichtete die VVN einen Gedenkstein. Das Lagergelände geriet in Vergessenheit, die Grabanlage in Flössberg verwahrloste. Seit 2005 setzten sich zunächst die Bürgerinitiative „Flößberg gedenkt“ und später die „Geschichtswerkstatt Flößberg e. V.“ für eine würdige Gestaltung der Grabanlage ein. Diese konnte in neuer Form 2015 der Öffentlichkeit übergeben werden. Am ehemaligen Lagerstandort geben zwei Informationstafeln Auskunft über die Geschichte des Ortes. Die Neugestaltung des sogenannten Ehrenhains in Borna erfolgte bereits 2008.

Link zum heutigen Standort auf GoogleMaps
Link zum Standort des Waldfriedhofs Flößberg auf GoogleMaps
Link zum Standort des Ehrenhains Borna auf GoogleMaps

Kontakt:
Geschichtswerkstatt Flößberg e.V.

 

Mahnmal auf dem Waldfriedhof in Flößberg, 2022. Foto: Moritz Grote
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Mahnmal auf dem Waldfriedhof in Flößberg, 2022. Foto: Moritz Grote ©Sammlung Moritz Grote
Gedenktafel auf dem Waldfriedhof Flößberg, 2022. Foto: Moritz Grote
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Gedenktafel auf dem Waldfriedhof Flößberg, 2022. Foto: Moritz Grote ©Sammlung Moritz Grote
Denkmal am Ehrenhain in Borna, 2022. Foto: Moritz Grote
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Denkmal am Ehrenhain in Borna, 2022. Foto: Moritz Grote ©Sammlung Moritz Grote
Gedenktafel am Ehrenhain in Borna, 2022. Foto: Moritz Grote
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Gedenktafel am Ehrenhain in Borna, 2022. Foto: Moritz Grote ©Sammlung Moritz Grote

Literatur:

Moritz Grote u. Wolfgang Heidrich, Gefangen in Flößberg. Die Geschichte des Buchenwalder Außenlagers 1944 bis 1945, Springe 2024.