Rottleberode

13. März 1944 – 28. Oktober 1944

Das Lager

Die Junkers Motorenwerke AG begann im März 1944, in der Heimkehle-Höhle, einer Naturhöhle im Südharz, eine unterirdische Produktionsstätte einzurichten. In der nahegelegenen Ortschaft Rottleberode entstand für das Untertageverlagerungsvorhaben mit dem Tarnnamen „A 5“ ein neues Buchenwalder Außenlager – es erhielt den Decknamen „Heinrich“. Die im selben Monat eintreffenden Häftlinge wurden in der von Junkers angemieteten ehemaligen Porzellanfabrik Max Schuck am Rand des Ortes, in der heutigen Stolberger Straße, untergebracht. Wachtürme und ein Elektrozaun umgaben das dreistöckige Steingebäude. Die Schlafräume mit Stockbetten und die Aufenthaltsräume für die Häftlinge befanden sich in den beiden Obergeschossen. Im Erdgeschoss waren die Küche und die Waschräume. Zu ihrem Arbeitsort in der Heimkehle-Höhle mussten die Häftlinge jeden Tag rund vier Kilometer zu Fuß marschieren oder sie wurden per Bahn transportiert. Das Außenlager „Heinrich“ gehörte ab Ende Oktober 1944 zum verselbstständigten Konzentrationslager Mittelbau.

Die Häftlinge

Die SS brachte die ersten 200 Häftlinge am 13. März 1944 aus Buchenwald nach Rottleberode. Es waren mehrheitlich politische Häftlinge aus Polen und der Sowjetunion sowie einige deutsche Gefangene, die als Funktionshäftlinge eingesetzt wurden. Zum Lagerältesten machte die SS den deutschen Häftling Hubert Hagen, der als „Berufsverbrecher“ nach Buchenwald eingewiesen worden war. Die Zahl der Häftlinge erhöhte sich bis Mitte Mai auf rund 700. Ende Oktober 1944 befanden sich 819 Häftlinge vor Ort. Die meisten von ihnen waren politische Häftlinge aus Polen, der Sowjetunion und Frankreich, kleinere Gruppen stammten aus Belgien, dem Deutschen Reich, Italien, Jugoslawien, der Tschechoslowakei, den Niederlanden, Litauen und Spanien. Unter den Häftlingen gab es eine relativ große Fluktuation. Kranke Häftlinge tauschte die SS aus. Einige der beim Ausbau der Höhle eingesetzten Häftlinge kamen in andere Lager, und für die Rüstungsfertigung trafen Häftlinge aus anderen Junkers-Außenlagern ein, etwa aus Mühlhausen oder Schönebeck. Bis Ende Oktober 1944 sind zudem mindestens 30 Fluchten aus dem Lager belegt.

„Im zweiten Stockwerk waren die Spezialisten untergebracht, diejenigen, die in der unterirdischen Fabrik arbeiteten.“
André Carré
Zum Erinnerungsbericht

Zwangsarbeit

Zu Beginn mussten die Häftlinge zunächst die Heimkehle-Höhle für die geplante Verlagerung der Junkers-Fertigung vorbereiten. Täglich zwölf Stunden trieben sie unter Tage Stollen in den Berg, setzten Stützen, planierten Flächen oder zogen Stromleitungen. Die Arbeiten waren extrem kräftezehrend. Mit Abschluss der Bauarbeiten in der Höhle im Juli 1944 begann die unterirdische Produktion im „Thyra-Werk“, so der Name des neuen Werks. In der Heimkehle ließ Junkers Federkerne und Einzelteile für die Flugzeugproduktion herstellen. Dazu wurden angelernte Häftlinge eingesetzt, die als Facharbeiter galten und von denen manche schon in anderen Junkers-Außenlagern Zwangsarbeit leisten mussten. In der Produktion arbeiteten die Häftlinge zumeist in zwölfstündigen Tag- und Nachtschichten – angeleitet von deutschen zivilen Arbeitern. Neben der Produktion waren die Häftlinge weiterhin auf nahegelegenen Baustellen im Einsatz, die meisten ab Ende August im benachbarten Stempeda. Auch dort sollte eine unterirdische Produktionsstätte entstehen.

Krankheit und Tod

In dem als Häftlingsunterkunft genutzten Gebäude gab es eine improvisierte Krankenstation mit 36 Betten. Aufgrund der schweren Zwangsarbeit war sie von Beginn an stark belegt. Regelmäßig schickte die SS zudem kranke oder ausgezehrte Häftlinge zurück nach Buchenwald und später in den Krankenbau des Außenlagers Dora. Die Krankenversorgung vor Ort lag zunächst in den Händen des französischen Häftlingsarztes Dr. Joseph Robert und des deutschen Pflegers Karl Reuter. Auf sie folgten im Juli 1944 der belgische Häftlingsarzt Dr. Fernand Maistriaux und der polnische Pfleger Jan Pacer. Für den Zeitraum bis Ende Oktober 1944, in dem das Außenlager in Rottleberode dem Hauptlager Buchenwald unterstellt war, sind mindestens sechs Todesfälle belegt. Drei der Männer wurden nach Fluchtversuchen von der SS ermordet.

Bewachung

Die Wachmannschaft in Rottleberode bestand aus bis zu 100 SS-Männern. Viele von ihnen waren als ehemalige Luftwaffensoldaten zur Bewachung der Außenlager an die SS überstellt worden. Die Buchenwalder SS setzte als Kommandoführer Untersturmführer Heinz Grabowski (1920-1945) ein. Mit 18 Jahren in den Dienst der SS getreten, wechselte er später zur Wachmannschaft des Konzentrationslagers Buchenwald. Von März 1944 bis Herbst 1944 führte er das Kommando in Rottleberode. Ein sowjetisches Militärtribunal, vermutlich in Merseburg, verurteilte ihn wegen seiner Verbrechen im Außenlager Rottleberode zum Tode. Das Urteil wurde am 21. August 1945 vollstreckt. Weitere SS-Angehörige, die während der Unterstellung des Lagers unter das KZ Mittelbau in Rottleberode tätig waren, verurteilte ein amerikanisches Militärgericht in Dachau 1947.

Fernschreiben der Gestapo Halle/Saale an die Kommandantur des KZ Buchenwald, 21. Oktober 1944. Die Gestapo berichtete über die Wiederergreifung der beiden sowjetischen Häftlinge Wladimir Orlow und Wladimir Kornilow. Beide waren Ende September während eines Fliegeralarms aus der Fabrik in der Heimkehle geflohen. Beide blieben in den Händen der Gestapo. Was mit ihnen geschah, ist unklar.
Fernschreiben der Gestapo Halle/Saale an die Kommandantur des KZ Buchenwald, 21. Oktober 1944. Die Gestapo berichtete über die Wiederergreifung der beiden sowjetischen Häftlinge Wladimir Orlow und Wladimir Kornilow. Beide waren Ende September während eines Fliegeralarms aus der Fabrik in der Heimkehle geflohen. Beide blieben in den Händen der Gestapo. Was mit ihnen geschah, ist unklar. ©Arolsen Archives

Übernahme durch das KZ Mittelbau

Am 28. Oktober 1944 wurde das Außenlager „Heinrich“ in Rottleberode dem neu verselbstständigten Konzentrationslager Mittelbau zugeordnet. Fortan war es kein Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald mehr. Zum Zeitpunkt der Übergabe des Lagers befanden sich 819 Häftlinge vor Ort. Als Außenlager des Konzentrationslagers Mittelbau existierte das Lager in Rottleberode weiter bis zur Räumung im April 1945.

Spuren und Gedenken

Am Standort des ehemaligen Außenlagers Rottleberode gibt es heute keine baulichen Spuren mehr. Das Gebäude der Porzellanfabrik Max Schuck, in dem die Häftlinge untergebracht waren, wurde Ende der 1990er-Jahre abgerissen. An das Außenlager Rottleberode und das benachbarte Lager für zivile Zwangsarbeitende erinnern seit 2015 ein Gedenkstein und eine Informationstafel. Auf der Baustelle in der Heimkehle-Höhle verweist bereits seit 2005 ein Gedenkstein mit einer Hinweistafel auf die Außenlager Rottleberode und Stempeda.

Link zum heutigen Standort und zum Standort der Gedenktafel auf GoogleMaps
Link zum Standort der Heimkehle-Höhle und des Gedenksteins auf GoogleMaps

Literatur:

Jens-Christian Wagner, Rottleberode, in: Wolfgang Benz u. Barbara Distel (Hg.), Der Ort des Terrors. Die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 7, München 2006, S. 330-334.

Frank Baranowski, Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands 1929-1945, Bad Langensalza 2017, S. 463-472.

Michael Zerjadtke (Hg.), Die Heimkehle und das KZ „Heinrich“. Zum Konzentrationslager in Rottleberode, zum Missbrauch der Heimkehle bei Uftrungen als Rüstungsproduktionsstätte und zum Kriegsende im Thyratal, Norderstedt 2025.


André Carré nach seiner Einweisung in das KZ Buchenwald (Ausschnitt der Häftlingspersonalkarte), Mai 1944
André Carré nach seiner Einweisung in das KZ Buchenwald (Ausschnitt der Häftlingspersonalkarte), Mai 1944. Foto: Erkennungsdienst der SS ©Arolsen Archives
„Im zweiten Stockwerk waren die Spezialisten untergebracht, diejenigen, die in der unterirdischen Fabrik arbeiteten.“

André Carré

André Carré kam am 7. Juni 1904 in Tracy-le-Mont in Nordfrankreich zur Welt. Der Metallarbeiter und Familienvater wurde 1940 wegen seines Engagements in der Kommunistischen Partei inhaftiert. Nach mehrjähriger Haft in Frankreich ließ die Gestapo ihn im Mai 1944 nach Buchenwald deportieren. Er musste in den Außenlagern der Junkers-Werke, zunächst in Schönebeck und ab Oktober 1944 in Rottleberode, in der Rüstungsproduktion Zwangsarbeit leisten. Bei einem Todesmarsch gelang ihm Ende April 1945 die Flucht. Nach seiner Rückkehr nach Frankreich schilderte er seine Erinnerungen an das Lager in Rottleberode im Rahmen einer schriftlichen Befragungsaktion der Association Française Buchenwald Dora et Kommados. André Carré starb am 15. Januar 1992 in Fleury-Mérogis bei Paris.



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