Schönebeck („Julius“)

29. März 1943 – 11. April 1945

Das Lager

Seit 1937 produzierte die Junkers Flugzeug- und Motorenwerke AG in ihrem Zweigwerk in Schönebeck an der Elbe, rund zehn Kilometer südlich von Magdeburg im heutigen Sachsen-Anhalt, Flugzeugteile. Im Frühjahr 1943 vereinbarte die Werksleitung mit der SS, KZ-Häftlinge aus Buchenwald in Schönebeck einzusetzen. Das erste Außenlager, das die Buchenwalder SS für den Junkerskonzern einrichtete, erhielt den Tarnnamen „Julius“. Zehn weitere folgten im Jahr darauf. Das von einem elektrisch geladenen Stacheldraht und vier Wachtürmen umgebene Lager befand sich auf der Ostseite des Junkers-Betriebsgeländes im Südosten der Stadt an der Barbyer Straße, nahe des Elbdamms. Es bestand aus sieben Holz- und Steinbaracken und einigen weiteren Funktionsgebäuden. Ausgestattet waren die Unterkünfte mit dreistöckigen Holzpritschen. Pro Baracke gab es einen Waschraum mit Kaltwasser und eine Latrine. In direkter Nachbarschaft zum Häftlingslager war die Wachmannschaft des Lagers untergebracht. Die unmittelbare Nähe des Lagers zu den Werkhallen schaffte kurze tägliche Arbeitswege.

Wandmalerei aus einer der Baracken des Außenlagers Schönebeck. Der polnische Häftling Józef Szajna, der seit Februar 1944 in Schönbeck für den Junkerskonzern arbeiten musste, fertigte sie mit Nitrofarben für das Lackieren von Flugzeugteilen an. 1991 wurde die Malerei entdeckt und sechs Jahre später geborgen. Heute befindet sie sich in der Kunstsammlung der Gedenkstätte Buchenwald.
1/2
Wandmalerei aus einer der Baracken des Außenlagers Schönebeck. Der polnische Häftling Józef Szajna, der seit Februar 1944 in Schönbeck für den Junkerskonzern arbeiten musste, fertigte sie mit Nitrofarben für das Lackieren von Flugzeugteilen an. 1991 wurde die Malerei entdeckt und sechs Jahre später geborgen. Heute befindet sie sich in der Kunstsammlung der Gedenkstätte Buchenwald. ©Gedenkstätte Buchenwald
Wandmalerei aus einer der Baracken des Außenlagers Schönebeck. Der polnische Häftling Józef Szajna, der seit Februar 1944 in Schönbeck für den Junkerskonzern arbeiten musste, fertigte sie mit Nitrofarben für das Lackieren von Flugzeugteilen an. 1991 wurde die Malerei entdeckt und sechs Jahre später geborgen. Heute befindet sie sich in der Kunstsammlung der Gedenkstätte Buchenwald.
2/2
Wandmalerei aus einer der Baracken des Außenlagers Schönebeck. Der polnische Häftling Józef Szajna, der seit Februar 1944 in Schönbeck für den Junkerskonzern arbeiten musste, fertigte sie mit Nitrofarben für das Lackieren von Flugzeugteilen an. 1991 wurde die Malerei entdeckt und sechs Jahre später geborgen. Heute befindet sie sich in der Kunstsammlung der Gedenkstätte Buchenwald. ©Gedenkstätte Buchenwald

Die Häftlinge

Vermutlich am 29. März 1943 brachte die SS die ersten 100 Häftlinge aus Buchenwald nach Schönebeck. Durch weitere Überstellungen stieg die Belegung des Lagers im Laufe des Jahres an. Ende 1943 befanden sich rund 1.200 Häftlinge vor Ort. In den folgenden 15 Monaten bis zur Räumung im April 1945 blieb die Belegung des Lagers mit rund 1.100 bis 1.300 Häftlingen relativ stabil. Die Fluktuation war dennoch groß: Regelmäßig tauschte die SS kranke oder angeblich für die Produktion nicht geeignete Häftlinge aus. Ab Mitte 1944 wurden zudem Häftlinge aus Schönebeck in die neu entstehenden Junkers-Außenlager in Mühlhausen, Halberstadt, Rottleberode, Aschersleben oder Leopoldshall überstellt. Als Ersatz trafen beständig neue Häftlingstransporte aus Buchenwald ein. Die große Mehrheit der Männer in Schönebeck galt als politische Häftlinge. Die größten Gruppen stammten aus der Sowjetunion, Frankreich, Polen, den Niederlanden und der Tschechoslowakei. Die Funktionsposten im Lager besetzte die SS mit deutschen Häftlingen. Ab Februar 1945 musste auch eine kleine Gruppe jüdischer Häftlinge in Schönebeck für Junkers arbeiten.

„Ich muss an einer sehr groẞen Presse arbeiten, die vier Meter lange Flugzeugflügel in zwei Teile presst. Wir sind vier Häftlinge: zwei Polen, ein Russe und ich, der Franzose.“
Jean Marion
Zum Erinnerungsbericht

Zwangsarbeit

In dem unmittelbar neben dem Lager gelegenen Junkerswerk mussten die Häftlinge in der Fertigung von Teilen für verschiedene Junkers-Flugzeugmodelle arbeiten. Eingesetzt waren sie in verschiedenen Abteilungen, unter anderem in der Zerspanung, im Presswerk, der Gießerei und der Härterei; kleinere Gruppen auch als Maurer oder für Aufräumarbeiten. Im Werk wurden auch Zwangsarbeiter aus West- und Osteuropa ausgebeutet. Deutsche Vorarbeiter und Meister kontrollierten ihre Arbeit. Berichten zufolge kamen Ingenieure des Werks wiederholt nach Buchenwald, um geeignete Häftlinge auszuwählen – vor allem Männer mit Erfahrungen in metallverarbeitenden Berufen wie Schlosser, Schleifer, Dreher, Fräser, Bohrer und Mechaniker. Im Werk gab es in der Regel – wie in Rüstungsbetrieben üblich – zwölfstündige Schichten. An den Sonntagen arbeitete lediglich ein Teil der Männer.

Krankheit und Tod

In der Anfangszeit gab es im Lager noch kein Krankenrevier. Die Häftlinge wurden entweder in einem der Schlafsäle oder im Werksrevier behandelt oder direkt zurück nach Buchenwald gebracht. Erst Ende 1943 ließ die SS in einem Funktionsgebäude im Lager eine Krankenstation einrichten. Für die medizinische Versorgung vor Ort setzte sie drei Häftlingspfleger ein – alles medizinische Laien. Seitens der SS war ein SS-Sanitäter namens Naumann zuständig, auf ihn folgte ein SS-Mann namens Staff. Als Vertragsarzt der SS fungierte anfangs der Chefarzt der Heil- und Pflegeanstalt in Bernburg, Dr. Irmfried Eberl, später vermutlich der Betriebsarzt des Junkerswerks. Bis zuletzt ließ die Lagerführung schwerkranke Häftlinge zurück nach Buchenwald bringen, wo einige an den Folgen der Erkrankungen starben. Mindestens zehn Männer kamen vor Ort im Außenlager Schönebeck ums Leben. Für die meisten diagnostizierte der Vertragsarzt Tuberkulose- und Herzerkrankungen als Todesursachen. Den 22-jährigen Polen Alexander Sytnik erschossen SS-Wachen Ende Dezember 1943 bei einem Fluchtversuch.

Bewachung

Die Wachmannschaft vor Ort umfasste rund 100 bis 120 SS-Männer. Überlebende berichteten später, dass es sich bei vielen um sogenannte volksdeutsche SS-Männer aus Polen, der Tschechoslowakei und Rumänien handelte. Ab Mitte 1944 bestand der Großteil der Wachmannschaft vermutlich aus älteren Luftwaffensoldaten, die zum Wachdienst in den Außenlagern abgestellt worden waren. Als Kommandoführer setzte die Buchenwalder SS zunächst SS-Oberscharführer Karl Blumenroth (geb. 1887) ein. Wahrscheinlich im Mai 1943 löste ihn SS-Obersturmführer Gustav Borell (1898-1969) ab. Er hatte bereits verschiedene Lager durchlaufen und kommandierte zuvor das Außenlager Leipzig-Thekla. Borell übernahm ab 1944 zusätzlich eine Aufsichtsfunktion über die weiteren für den Junkerskonzern entstehenden Außenlager im Zuständigkeitsbereich des KZ Buchenwald.
1947 wurden drei SS-Männer wegen Verbrechen in Schönebeck vor amerikanischen Militärgerichten in Dachau angeklagt. Lediglich einer, Adolf Wuttke, erhielt eine Verurteilung zu viereinhalb Jahren Haft. Ermittlungen der Zentralen Stelle Ludwigsburg zum Außenlager Schönebeck blieben in den 1970er-Jahren ohne Ergebnis.

Räumung

Mitte März 1945 befanden sich 1.120 Häftlinge im Lager „Julius“ in Schönebeck. Ab dem 8. April mussten die Häftlinge nicht mehr im Werk arbeiten. Aufgrund der nahenden U.S. Army räumte die SS am Abend des 11. April das Lager. Hiermit begann ein dreiwöchiger Todesmarsch in Richtung Norden. Die SS trieb die Häftlinge durch Berlin bis kurz vor das Konzentrationslager Sachsenhausen. Da das Lager bereits geräumt war, mussten die Häftlinge weiter nach Norden marschieren. Anfang Mai 1945 wurden Berichten zufolge 300 bis 400 Überlebende in der Nähe von Parchim, 40 Kilometer südlich von Schwerin, befreit – teils von amerikanischen, teils von sowjetischen Truppen. Die Zahl der Häftlinge, die während des Todesmarsches fliehen konnten, an Entkräftung starben oder umgebracht wurden, ist nicht bekannt.

Spuren und Gedenken

Unmittelbar nach dem Krieg dienten einige Baracken des ehemaligen Außenlagers der Unterbringung deutscher Flüchtlinge. Von den 1960er- bis in die 1990er-Jahre erfolgte eine gewerbliche Nutzung des ehemaligen Lagergeländes. Die Baracken wurden später abgerissen. Heute ist auf dem Gelände ein Gewerbegebiet. Seit 1968 steht ein Gedenkstein am Eingang des ehemaligen Werks.

Link zum heutigen Standort auf GoogleMaps
Link zum Standort des Gedenksteins auf GoogleMaps

Der Gedenkstein aus dem Jahre 1968, 2025. Foto: Sylvia Vogelsberg
1/2
Der Gedenkstein aus dem Jahre 1968, 2025. Foto: Sylvia Vogelsberg ©Gedenkstätte Buchenwald
Die Gedenktafel am Gedenkstein, 2025. Foto: Sylvia Vogelsberg
2/2
Die Gedenktafel am Gedenkstein, 2025. Foto: Sylvia Vogelsberg ©Gedenkstätte Buchenwald

Literatur:

Herwig Lewy, Schönebeck („Julius“), in: Wolfgang Benz u. Barbara Distel (Hg.), Der Ort des Terrors. Die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 3: Sachsenhausen, Buchenwald, München 2006, S. 568-571.


Jean Marion nach seiner Einweisung in das KZ Buchenwald (Ausschnitt der Häftlingspersonalkarte), Mai 1944. Foto: Erkennungsdienst der SS
Jean Marion nach seiner Einweisung in das KZ Buchenwald (Ausschnitt der Häftlingspersonalkarte), Mai 1944. Foto: Erkennungsdienst der SS ©Arolsen Archives
„Ich muss an einer sehr groẞen Presse arbeiten, die vier Meter lange Flugzeugflügel in zwei Teile presst. Wir sind vier Häftlinge: zwei Polen, ein Russe und ich, der Franzose.“

Jean Marion

Jean Marion kam am 28. März 1925 im französischen Saint-Claude nahe der Grenze zur Schweiz zur Welt. Nach der Einführung der Pflicht für junge Franzosen, Zwangsarbeit in Deutschland zu leisten, schloss sich der gelernte Mechaniker 1943 der Résistance an. Am 9. April 1944 bei einer Razzia in seinem Heimatort verhaftet, erfolgte einen Monat später seine Deportation nach Buchenwald. Kurz darauf gelangte er nach Schönebeck, wo er bis Räumung des Lagers blieb. Auf einem Todesmarsch Anfang Mai 1945 wurde er in Großpankow von sowjetischen Truppen befreit. Er kehrte in seine Heimat zurück und gründete eine Familie. Im Alter von 84 Jahren veröffentlichte Jean Marion seine Erinnerungen an die KZ-Haft. Er starb 2019 in seiner Heimatstadt Saint-Claude.



weiterlesen