Aumale (SS-Baubrigade V)

4. April 1944 – August 1944

Das Lager

Für den Bau von Abschussanlagen der sogenannten Vergeltungswaffen „V1“ und „V2“ ließ SS-Chef Himmler Anfang 1944 die neue SS-Baubrigade V aufstellen. Ihr Einsatzgebiet war das deutsch besetzte Nordfrankreich. Offiziell wurde sie dem Konzentrationslager Buchenwald unterstellt. Der Hauptstandort in Frankreich, von wo aus die SS den Einsatz der Brigade organisierte, lag in der Gemeinde Doullens. Ein größeres Nebenlager richtete die SS im April 1944 in Aumale in der Normandie zwischen Rouen und Amiens ein. Es trug den Tarnnamen „Inga“. Weitere größere Nebenlager der Baubrigade V entstanden in Hesdin und Rouen. In Aumale waren die Häftlinge Berichten zufolge in Baracken auf dem Gelände des Schlosses Bois Robin östlich des Stadtzentrums untergebracht. Zu den rund drei Kilometer entfernten Baustellen im Wald westlich von Aumale mussten die Häftlinge täglich durch die Stadt marschieren, zeitweise wurden sie auch gefahren.

Das Schloss Bois Robin in Aumale, Ansichtskarte ohne Datum
Das Schloss Bois Robin in Aumale, Ansichtskarte ohne Datum ©Verlag Arnould

Die Häftlinge

Die SS bildete die SS-Baubrigade V aus Häftlingen der beiden Baubrigaden II und III. Vom Hauptstandort der SS-Baubrigade III in Köln-Deutz wurden sie nach Frankreich verlegt. Mit vier Transporten brachte die SS im März und April 1944 insgesamt 2.526 Häftlinge nach Frankreich. Etwa zwei Drittel von ihnen stammten aus der Sowjetunion, rund ein Drittel aus Polen. Hinzu kamen einzelne Männer aus Deutschland, der Tschechoslowakei und Jugoslawien. Um Kontakte zur Bevölkerung und Fluchtversuche zu verhindern, wählte die SS vor allem Häftlinge aus, die kein Französisch sprachen. Dennoch half ihnen die französische Bevölkerung. Für alle Standorte der Baubrigade V ist eine sehr hohe Zahl von 123 Fluchten belegt. Wahrscheinlich durchliefen alle Männer die Zitadelle in Doullens, bevor sie in andere Lager kamen. In Aumale traf vermutlich am 4. April 1944 ein Transport mit 700 Häftlingen ein. Im Sommer 1944 befanden sich noch 541 Häftlinge vor Ort.

„Wir kamen nach Nordfrankreich, an den Ärmelkanal, den Ort Aumale. Das war ein kleines Lager, wo ungefähr 500 bis 600 Leute waren.“
Kazimierz Szewczyk
Zum Erinnerungsbericht

Zwangsarbeit

Wie alle Häftlinge in den Lagern der SS-Baubrigade V mussten auch die Männer in Aumale Stellungen und verbunkerte Nachschubanlagen für Flugbomben und Raketen in den umliegenden Wäldern anlegen.

Krankheit und Tod

Über die Krankenversorgung an den Standorten der Baubrigade V ist nicht viel bekannt. Als Häftlingsarzt setzte die SS den polnischen Arzt Władysław Wikler ein. Vermutlich wurde er jede Woche zu den unterschiedlichen Standorten der Baubrigade gebracht, um die Kranken zu versorgen. Berichten zufolge befand sich an einem der Lagerstandorte das zentrale Krankenrevier der Baubrigade. Wo dieses war, ist jedoch nicht eindeutig belegt. Nicht mehr arbeitsfähige Häftlinge ließ die SS zurück nach Buchenwald bringen. Für das Lager in Aumale sind mindestens sieben Todesfälle belegt. Als Todesursachen vermerkte die SS in den Haftunterlagen Erschießungen auf der Flucht, Bombenexplosionen oder Herzschwäche. Wo sie die Toten beisetzen oder einäschern ließ, ist nicht bekannt.

Bewachung

Als Kommandoführer der gesamten SS-Baubrigade V wurde der SS-Sturmbannführer Gerhard Weigel (1908-1998) eingesetzt. Der gelernte Heizungsingenieur aus dem sächsischen Flöha war seit 1930 in der SS aktiv. Nach Stationen in den Konzentrationslagern Sachsenburg, Buchenwald und Sachsenhausen sowie Tätigkeiten in der Bauabteilung des Verwaltungsamtes der SS übernahm er 1942 im Konzentrationslager Neuengamme als Kommandoführer die SS-Baubrigade II. Im März wechselte er in gleicher Funktion in die neue Baubrigade V. Für alle Lagerstandorte in Nordfrankreich unterstanden ihm 95 SS-Wachmänner, 26 SS-Angehörige für Verwaltung und Technik, 61 Soldaten des Heeres und 213 Soldaten der Luftwaffe. Wie viele von ihnen die Wachmannschaft in Aumale bildeten und wer diese vor Ort befehligte, ist nicht bekannt.
Zwei Ermittlungen der Zentralen Stelle in Ludwigsburg wegen Verbrechen im Kontext des Einsatzes der SS-Baubrigade V wurden in den 1970er-Jahren ergebnislos eingestellt. Gerhard Weigel arbeitete nach dem Krieg unbehelligt weiter als Ingenieur in Westdeutschland.

Räumung

Wegen des Vormarsches der Alliierten in Frankreich wurde die Baubrigade V ab August 1944 aufgelöst. Die SS sammelte die Häftlinge aus den französischen Außenlagern in Doullens und schickte sie nach Deutschland zurück. Zur Zwangsarbeit kamen sie in unterschiedliche Lager im Harz. Mit der Unterstellung dieser Lager unter das verselbstständigte Konzentrationslager Mittelbau-Dora waren die Häftlinge der ehemaligen Baubrigade V ab Ende Oktober 1944 keine Buchenwald-Häftlinge mehr.

Spuren und Gedenken

Vor Ort in Aumale gibt es keine Spuren des ehemaligen Außenlagers mehr. Auch Erinnerungszeichen sind nicht vorhanden. Überreste der V1-Abschussrampen können heute noch im Wald in Aumale gefunden werden. Die Initiative „Histoire et mémoire V1“, in der sich mehrere Gemeinden in der Normandie zusammengeschlossen haben, versucht, die Geschichte der Zwangsarbeit im Zusammenhang mit dem Bau von V1-Abschussrampen in der Region sichtbar zu machen.

Link zum heutigen Standort auf GoogleMaps

Kontakt:
Histoire et Patrimoine V1 en vallées de la Bresle et de l’Yères

Literatur:

Karola Fings, Krieg, Gesellschaft und KZ. Himmlers SS-Baubrigaden, Paderborn 2005.

Karola Fings, Aumale (SS-Baubrigade V), in: Wolfgang Benz u. Barbara Distel (Hg.), Der Ort des Terrors. Die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 3: Sachsenhausen, Buchenwald, München 2006, S. 373-374.


„Wir kamen nach Nordfrankreich, an den Ärmelkanal, den Ort Aumale. Das war ein kleines Lager, wo ungefähr 500 bis 600 Leute waren.“

Kazimierz Szewczyk

Kazimierz Szewczyk kam am 3. Februar 1921 im polnischen Zduńska Wola zur Welt. Im Mai 1940 wurde er verhaftet und kurz darauf als politischer Häftling nach Dachau deportiert. Nach seiner Überstellung zur SS-Baubrigade in Köln brachte ihn die SS im April 1944 nach Aumale. Dort erlitt er bei einem Luftangriff schwere Verletzungen, überlebte aber. Nach der Befreiung lebte er bis zu seiner Rückkehr nach Polen im DP-Camp Fallingsbostel, wo er eine ehemalige polnische Zwangsarbeiterin heiratete. In seiner Heimat arbeitete er später als Pförtner und Feuerwehrmann. 1995 kehrte er nach Köln zurück und berichtete für das NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln.



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