Rouen (SS-Baubrigade V)

3. April 1944 – August 1944

Das Lager

Für den Bau von Abschussanlagen der sogenannten Vergeltungswaffen „V1“ und „V2“ ließ SS-Chef Himmler Anfang 1944 die neue SS-Baubrigade V aufstellen. Offiziell wurde sie dem Konzentrationslager Buchenwald unterstellt. Ihr Einsatzgebiet war das deutsch besetzte Nordfrankreich. Der Hauptstandort in Frankreich, von wo aus die SS den Einsatz der Brigade organisierte, lag in der Gemeinde Doullens. Ein größeres Nebenlager richtete die SS im April 1944 in Rouen in der Normandie ein. Weitere Nebenlager der Baubrigade V entstanden in Aumale und Hesdin. In Rouen waren die Häftlinge im „L’hippodrome des Bruyères“, einer Pferderennbahn aus dem 19. Jahrhundert, untergebracht. Sie lag in Saint-Étienne-du-Rouvray, südlich angrenzend an Rouen. Während des Ersten Weltkriegs diente die Pferderennbahn als Lazarett für britische Truppen. Die deutschen Besatzer nutzten das Gelände ab 1940 zunächst als Kriegsgefangenenlager. In bereits bestehenden Wellblechbaracken, Berichten zufolge ohne Betten ausgestattet, schliefen die Häftlinge der Baubrigade V auf dem Boden auf Stroh.

Die Häftlinge

Die SS bildete die SS-Baubrigade V aus Häftlingen der beiden Baubrigaden II und III. Vom Hauptstandort der SS-Baubrigade III in Köln-Deutz wurden sie nach Frankreich verlegt. Mit vier Transporten brachte die SS im März und April 1944 insgesamt 2.526 Häftlinge nach Frankreich. Etwa zwei Drittel von ihnen stammten aus der Sowjetunion, rund ein Drittel aus Polen. Hinzu kamen einzelne Männer aus Deutschland, der Tschechoslowakei und Jugoslawien. Um Kontakte zur Bevölkerung und Fluchtversuche zu verhindern, wählte die SS vor allem Häftlinge aus, die kein Französisch sprachen. Dennoch half ihnen die französische Bevölkerung. Für alle Standorte der Baubrigade V ist eine sehr hohe Zahl von 123 Fluchten belegt. Wahrscheinlich durchliefen alle Männer die Zitadelle in Doullens, bevor sie in andere Lager kamen. In Rouen traf vermutlich am 3. April 1944 ein Transport mit 750 Häftlingen ein. Über die Entwicklung der Lagerbelegung in den Monaten danach liegen keine Informationen vor.

Häftlingspersonalkarte des KZ Buchenwald für Wasilij Chartschenko aus der Ukraine, 1944. Mit der Baubrigade V kam er im April 1944 nach Rouen. Einen Monat später wurde er wegen „Körperschwäche“ mit weiteren Kranken zurück nach Buchenwald gebracht. Dort starb der Familienvater am 15. Juni 1944 mit 41 Jahren.
Häftlingspersonalkarte des KZ Buchenwald für Wasilij Chartschenko aus der Ukraine, 1944. Mit der Baubrigade V kam er im April 1944 nach Rouen. Einen Monat später wurde er wegen „Körperschwäche“ mit weiteren Kranken zurück nach Buchenwald gebracht. Dort starb der Familienvater am 15. Juni 1944 mit 41 Jahren. ©Arolsen Archives

Zwangsarbeit

Wie alle Häftlinge in den Lagern der SS-Baubrigade V mussten auch die Männer aus dem Lager in Rouen Stellungen und verbunkerte Nachschubanlagen für Flugbomben und Raketen anlegen. Zudem wurden sie gezwungen, Straßen und Gleise zu reparieren, Schützengräben auszuheben oder nicht explodierte Bomben zu bergen. Zeitweise kamen Häftlinge aus dem Lager in Rouen auch auf Baustellen bei Amiens oder am Militärflughafen in Montdidier zum Einsatz.

Krankheit und Tod

Über die Krankenversorgung an den Standorten der Baubrigade V ist nicht viel bekannt. Als Häftlingsarzt setzte die SS den polnischen Arzt Władysław Wikler ein. Vermutlich wurde er jede Woche zu den unterschiedlichen Standorten der Baubrigade gebracht, um die Kranken zu versorgen. Berichten zufolge befand sich an einem der Lagerstandorte das zentrale Krankenrevier der Baubrigade. Wo dieses war, ist jedoch nicht eindeutig belegt. Nicht mehr arbeitsfähige Häftlinge ließ die SS zurück nach Buchenwald bringen. So verließ am 20. Mai 1944 etwa ein Transport mit 46 Kranken Rouen in Richtung Buchenwald. Für das Lager in Rouen sind mindestens 17 Todesfälle dokumentiert. 15 Häftlinge starben infolge eines Luftangriffs, mindestens ein Häftling wurde laut Angaben der SS auf der Flucht erschossen. Nach Aussage von Überlebenden soll es im Zusammenhang mit dem Luftangriff zu Erschießungen von Häftlingen gekommen sein. Wo die SS die Toten beerdigen oder einäschern ließ, ist nicht bekannt.

Bewachung

Als Kommandoführer der gesamten SS-Baubrigade V wurde der SS-Sturmbannführer Gerhard Weigel (1908-1998) eingesetzt. Der gelernte Heizungsingenieur aus dem sächsischen Flöha war seit 1930 in der SS aktiv. Nach Stationen in den Konzentrationslagern Sachsenburg, Buchenwald und Sachsenhausen sowie Tätigkeiten in der Bauabteilung des Verwaltungsamtes der SS übernahm er 1942 im Konzentrationslager Neuengamme als Kommandoführer die SS-Baubrigade II. Im März wechselte er in gleicher Funktion in die neue Baubrigade V. Für alle Lagerstandorte in Nordfrankreich unterstanden ihm 95 SS-Wachmänner, 26 SS-Angehörige für Verwaltung und Technik, 61 Soldaten des Heeres und 213 Soldaten der Luftwaffe. Wie viele von ihnen die Wachmannschaft in Rouen bildeten und wer diese vor Ort befehligte, ist nicht bekannt.
Zwei Ermittlungen der Zentralen Stelle in Ludwigsburg wegen Verbrechen im Kontext des Einsatzes der SS-Baubrigade V wurden in den 1970er-Jahren ergebnislos eingestellt. Gerhard Weigel arbeitete nach dem Krieg unbehelligt weiter als Ingenieur in Westdeutschland.

Räumung

Wegen des Vormarsches der Alliierten in Frankreich wurde die Baubrigade V ab August 1944 aufgelöst. Die SS sammelte die Häftlinge aus den französischen Außenlagern in Doullens und schickte sie nach Deutschland zurück. Zur Zwangsarbeit kamen sie in unterschiedliche Lager im Harz. Mit der Unterstellung dieser Lager unter das verselbstständigte Konzentrationslager Mittelbau waren die Häftlinge der ehemaligen Baubrigade V ab Ende Oktober 1944 keine Buchenwald-Häftlinge mehr.

Spuren und Gedenken

Vor Ort gibt es keine Spuren des ehemaligen Lagerstandortes der SS-Baubrigade V. Auch Erinnerungszeichen sind nicht vorhanden.

Link zum heutigen Standort auf GoogleMaps

Literatur:

Karola Fings, Krieg, Gesellschaft und KZ. Himmlers SS-Baubrigaden, Paderborn 2005.

Karola Fings, Rouen (SS-Baubrigade V), in: Wolfgang Benz u. Barbara Distel (Hg.), Der Ort des Terrors. Die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 3: Sachsenhausen, Buchenwald, München 2006, S. 553-554.