Doullens (SS-Baubrigade V)

März 1944 – August 1944

Das Lager

Für den Bau von Abschussanlagen der sogenannten Vergeltungswaffen „V1“ und „V2“ ließ SS-Chef Himmler Anfang 1944 die neue SS-Baubrigade V aufstellen. Ihr Einsatzgebiet war das deutsch besetzte Nordfrankreich. Offiziell wurde sie dem Konzentrationslager Buchenwald unterstellt. Der Hauptstandort in Frankreich, von wo aus die SS den Einsatz der Brigade organisierte, lag in der Gemeinde Doullens in der Region Hauts-de-France, 30 Kilometer nördlich von Amiens. Seit dem 16. Jahrhundert existierte dort eine weitläufige Befestigungsanlage, die Zitadelle von Doullens. Im 20. Jahrhundert wiederholt als Kriegsgefangenen- oder Internierungslager genutzt, wurden ab 1943 in einem Bunker der Zitadelle auch Teststarts der Flugbombe „V1“ durchgeführt. Ab März 1944 brachte die SS in der Zitadelle die Häftlinge der neuen Baubrigade V unter. Wo genau die Häftlingsunterkünfte lagen, ist nicht bekannt. Aus Doullens schickte die SS die Häftlinge zu verschiedenen Baustellen in der Region. Neben dem Hauptstandort existierten größere Lager der Baubrigade V in Aumale, Hesdin und Rouen sowie eine ganze Reihe von kleineren Lagerstandorten, über die so gut wie nichts bekannt ist.

Der Eingang und die Befestigungsmauern der Zitadelle Doullens. Ansichtskarte, ohne Datum
Der Eingang und die Befestigungsmauern der Zitadelle Doullens. Ansichtskarte, ohne Datum ©Privatsammlung Gilles Prilaux

Die Häftlinge

Die SS bildete die SS-Baubrigade V aus Häftlingen der beiden Baubrigaden II und III. Vom Hauptstandort der SS-Baubrigade III in Köln-Deutz wurden sie nach Frankreich verlegt. Mit vier Transporten brachte die SS im März und April 1944 insgesamt 2.526 Häftlinge nach Frankreich. Etwa zwei Drittel von ihnen stammten aus der Sowjetunion, rund ein Drittel aus Polen. Hinzu kamen einzelne Männer aus Deutschland, der Tschechoslowakei und Jugoslawien. Um Kontakte zur Bevölkerung und Fluchtversuche zu verhindern, wählte die SS vor allem Häftlinge aus, die kein Französisch sprachen. Dennoch half ihnen die französische Bevölkerung. Für alle Standorte der Baubrigade V ist eine sehr hohe Zahl von 123 Fluchten belegt. Zwischen den Standorten in Frankreich gab es ständige Häftlingsbewegungen. Vermutlich durchliefen alle Männer die Zitadelle in Doullens, bevor sie in andere Lager kamen. Die genaue Belegung in Doullens ist jedoch nicht bekannt.
Im September 1944 kamen aus der SS-Baubrigade V nur 1.839 Häftlinge nach Deutschland zurück. Dies lässt sich mit Fluchten, Todesfällen, Vermissten nach Bombenangriffen und frühzeitigen Rücküberstellungen erklären.

Zwangsarbeit

Die Häftlinge der SS-Baubrigade V mussten auf verschiedenen Baustellen arbeiten. Sie bauten Stellungen und verbunkerte Nachschubanlagen für Raketen, reparierten Straßen und Eisenbahngleise, hoben Schützengräben aus, bargen Blindgänger und setzten Festungsanlagen instand. Es war eine körperlich sehr anstrengende und gefährliche Arbeit. Viele Häftlinge verletzten sich bei Arbeitsunfällen, litten an Gasvergiftungen oder kamen bei Explosionen ums Leben. Unklar ist, ob die Häftlinge auch vor Ort in der Zitadelle in Doullens eingesetzt waren. Wahrscheinlicher ist, dass sie auf wechselnden Baustellen in der Nähe Zwangsarbeit leisten mussten und abends in die Zitadelle zurückkehrten. Lediglich fünf bis zehn Prozent der Häftlinge galten als Facharbeiter, die anderen als ungelernte Hilfsarbeiter. Für die körperliche Schwerstarbeit auf den Baustellen waren in den Augen der SS offensichtlich keine besonderen beruflichen Fähigkeiten notwendig.

Krankheit und Tod

Über die Krankenversorgung an den Standorten der Baubrigade V ist nicht viel bekannt. Als Häftlingsarzt setzte die SS den polnischen Arzt Władysław Wikler ein. Vermutlich wurde er jede Woche zu den unterschiedlichen Standorten der Baubrigade gebracht, um die Kranken zu versorgen. Berichten zufolge befand sich an einem der Lagerstandorte das zentrale Krankenrevier der Baubrigade. Wo dieses war, ist jedoch nicht eindeutig belegt. Nicht mehr arbeitsfähige Häftlinge ließ die SS zurück nach Buchenwald bringen. Für das Lager in Doullens sind mindestens zehn Todesfälle belegt. Die SS erschoss vier Häftlinge bei angeblichen Fluchtversuchen. Zwei Häftlinge starben an Gasvergiftungen, ein weiterer an einer Kopfverletzung. Die übrigen Todesursachen sind nicht überliefert. Wo die in Doullens Verstorbenen beigesetzt wurden, ist nicht bekannt.

Bewachung

Als Kommandoführer der gesamten SS-Baubrigade V wurde der SS-Sturmbannführer Gerhard Weigel (1908-1998) eingesetzt. Der gelernte Heizungsingenieur aus dem sächsischen Flöha war seit 1930 in der SS aktiv. Nach Stationen in den Konzentrationslagern Sachsenburg, Buchenwald und Sachsenhausen sowie Tätigkeiten in der Bauabteilung des Verwaltungsamtes der SS übernahm er 1942 im Konzentrationslager Neuengamme als Kommandoführer die SS-Baubrigade II. Im März wechselte er in gleicher Funktion in die neue Baubrigade V. Für alle Lagerstandorte in Nordfrankreich unterstanden ihm 95 SS-Wachmänner, 26 SS-Angehörige für Verwaltung und Technik, 61 Soldaten des Heeres und 213 Soldaten der Luftwaffe. Wie viele von ihnen die Wachmannschaft in Doullens bildeten und wer diese vor Ort befehligte, ist nicht bekannt.
Zwei Ermittlungen der Zentralen Stelle in Ludwigsburg wegen Verbrechen im Kontext des Einsatzes der SS-Baubrigade V wurden in den 1970er-Jahren ergebnislos eingestellt. Gerhard Weigel arbeitete nach dem Krieg unbehelligt weiter als Ingenieur in Westdeutschland.

Räumung

Wegen des Vormarsches der Alliierten in Frankreich wurde die Baubrigade V ab August 1944 aufgelöst. Die SS sammelte die Häftlinge aus den französischen Außenlagern in Doullens und schickte sie nach Deutschland zurück. Zur Zwangsarbeit kamen sie in unterschiedliche Lager im Harz. Mit der Unterstellung dieser Lager unter das verselbstständigte Konzentrationslager Mittelbau-Dora waren die Häftlinge der ehemaligen Baubrigade V ab Ende Oktober 1944 keine Buchenwald-Häftlinge mehr.

Spuren und Gedenken

Die Zitadelle von Doullens ist heute ein Kulturdenkmal. Das Projekt „Somme Patrimoine“ bemüht sich, die Geschichte der Zitadelle zu vermitteln und bietet vor Ort kulturelle Veranstaltungen an.
2021 wurden in einem Bunker unter der Zitadelle Inschriften mit Daten und Namen entdeckt, die vermutlich von KZ-Häftlingen stammen. Erinnerungszeichen oder eine Gedenktafel gibt es noch nicht.

Link zum heutigen Standort auf GoogleMaps

Kontakt:
www.citadelle-de-doullens.fr

Literatur:

Karola Fings, Krieg, Gesellschaft und KZ. Himmlers SS-Baubrigaden, Paderborn 2005.

Karola Fings, Doullens (SS-Baubrigade V), in: Wolfgang Benz u. Barbara Distel (Hg.), Der Ort des Terrors. Die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 3: Sachsenhausen, Buchenwald, München 2006, S. 419-422.

Gilles Prilaux u. Pauline Secchioni, La citadelle de Doullens et les ombres de Buchenwald, Amiens 2022.