
Das Lager
Für den Bau von Abschussanlagen der sogenannten Vergeltungswaffen „V1“ und „V2“ ließ SS-Chef Himmler Anfang 1944 die neue SS-Baubrigade V aufstellen. Ihr Einsatzgebiet war das deutsch besetzte Nordfrankreich. Offiziell wurde sie dem Konzentrationslager Buchenwald unterstellt. Der Hauptstandort in Frankreich, von wo aus die SS den Einsatz der Brigade organisierte, lag in der Gemeinde Doullens in der Region Hauts-de-France, 30 Kilometer nördlich von Amiens. Seit dem 16. Jahrhundert existierte dort eine weitläufige Befestigungsanlage, die Zitadelle von Doullens. Im 20. Jahrhundert wiederholt als Kriegsgefangenen- oder Internierungslager genutzt, wurden ab 1943 in einem Bunker der Zitadelle auch Teststarts der Flugbombe „V1“ durchgeführt. Ab März 1944 brachte die SS in der Zitadelle die Häftlinge der neuen Baubrigade V unter. Wo genau die Häftlingsunterkünfte lagen, ist nicht bekannt. Aus Doullens schickte die SS die Häftlinge zu verschiedenen Baustellen in der Region. Neben dem Hauptstandort existierten größere Lager der Baubrigade V in Aumale, Hesdin und Rouen sowie eine ganze Reihe von kleineren Lagerstandorten, über die so gut wie nichts bekannt ist.

Bewachung
Als Kommandoführer der gesamten SS-Baubrigade V wurde der SS-Sturmbannführer Gerhard Weigel (1908-1998) eingesetzt. Der gelernte Heizungsingenieur aus dem sächsischen Flöha war seit 1930 in der SS aktiv. Nach Stationen in den Konzentrationslagern Sachsenburg, Buchenwald und Sachsenhausen sowie Tätigkeiten in der Bauabteilung des Verwaltungsamtes der SS übernahm er 1942 im Konzentrationslager Neuengamme als Kommandoführer die SS-Baubrigade II. Im März wechselte er in gleicher Funktion in die neue Baubrigade V. Für alle Lagerstandorte in Nordfrankreich unterstanden ihm 95 SS-Wachmänner, 26 SS-Angehörige für Verwaltung und Technik, 61 Soldaten des Heeres und 213 Soldaten der Luftwaffe. Wie viele von ihnen die Wachmannschaft in Doullens bildeten und wer diese vor Ort befehligte, ist nicht bekannt.
Zwei Ermittlungen der Zentralen Stelle in Ludwigsburg wegen Verbrechen im Kontext des Einsatzes der SS-Baubrigade V wurden in den 1970er-Jahren ergebnislos eingestellt. Gerhard Weigel arbeitete nach dem Krieg unbehelligt weiter als Ingenieur in Westdeutschland.
Räumung
Wegen des Vormarsches der Alliierten in Frankreich wurde die Baubrigade V ab August 1944 aufgelöst. Die SS sammelte die Häftlinge aus den französischen Außenlagern in Doullens und schickte sie nach Deutschland zurück. Zur Zwangsarbeit kamen sie in unterschiedliche Lager im Harz. Mit der Unterstellung dieser Lager unter das verselbstständigte Konzentrationslager Mittelbau-Dora waren die Häftlinge der ehemaligen Baubrigade V ab Ende Oktober 1944 keine Buchenwald-Häftlinge mehr.
Spuren und Gedenken
Die Zitadelle von Doullens ist heute ein Kulturdenkmal. Das Projekt „Somme Patrimoine“ bemüht sich, die Geschichte der Zitadelle zu vermitteln und bietet vor Ort kulturelle Veranstaltungen an.
2021 wurden in einem Bunker unter der Zitadelle Inschriften mit Daten und Namen entdeckt, die vermutlich von KZ-Häftlingen stammen. Erinnerungszeichen oder eine Gedenktafel gibt es noch nicht.
Link zum heutigen Standort auf GoogleMaps
Kontakt:
www.citadelle-de-doullens.fr

Die Nummer links entspricht der Häftlingsnummer des polnischen Häftlings Jozef Wysocki und könnte von ihm stammen. Foto: Amélie Legrand ©Somme Patrimoine
Die Nummer links entspricht der Häftlingsnummer des polnischen Häftlings Jozef Wysocki und könnte von ihm stammen. Foto: Amélie Legrand ©Somme Patrimoine
Literatur:
Karola Fings, Krieg, Gesellschaft und KZ. Himmlers SS-Baubrigaden, Paderborn 2005.
Karola Fings, Doullens (SS-Baubrigade V), in: Wolfgang Benz u. Barbara Distel (Hg.), Der Ort des Terrors. Die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 3: Sachsenhausen, Buchenwald, München 2006, S. 419-422.
Gilles Prilaux u. Pauline Secchioni, La citadelle de Doullens et les ombres de Buchenwald, Amiens 2022.