Schwerte

6./7. April 1944 – 12. Januar 1945

Das Lager

Seit 1922 betrieb die Deutsche Reichsbahn zwei Kilometer östlich des Stadtzentrums von Schwerte das Reichsbahnausbesserungswerk Schwerte. In der zentralen Eisenbahnwerkstätte für den westdeutschen Ballungsraum arbeiteten 1944 rund 4.000 Beschäftigte – hauptsächlich ausländische Zwangsarbeitende und Kriegsgefangene. Ab April 1944 setzte die Werksleitung zudem KZ-Häftlinge ein. In zuvor für Zwangsarbeitende genutzten, bereits bestehenden Baracken mit Waschräumen am östlichen Rand des Werksgeländes waren sie untergebracht. Da das Lager mit der Zunahme der Häftlingszahl vergrößert wurde, sind die Zahl der Unterkunftsbaracken und ihre exakte Lage unklar. Von den benachbarten Unterkünften für Zwangsarbeitende durch einen elektrisch geladenen und beleuchteten Zaun getrennt, dienten zwei Wachtürme Berichten zufolge als zusätzliche Sicherung. Die Versorgung erfolgte ab Juni 1944 durch eine lagereigene Küche. Geschäfte aus der Stadt belieferten das Lager mit Lebensmitteln.

Die Häftlinge

Am Freitag, dem 7. April 1944, trafen um 15 Uhr die ersten 100 Häftlinge per Bahn aus Buchenwald in Schwerte ein. Durch weitere Überstellungen aus dem Hauptlager erhöhte sich ihre Zahl. Nach der Ankunft von 265 Häftlingen aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen erreichte die Belegung des Lagers im September 1944 mit 708 Männern ihren Höchststand. Häftlinge aus der Sowjetunion und aus Polen bildeten die größten Gruppen unter ihnen. Die übrigen Männer stammten aus Belgien, Frankreich, der Tschechoslowakei, Italien, Rumänien und Jugoslawien. Viele von ihnen waren gelernte oder angelernte Schlosser oder Dreher. Einige deutsche und zumeist langjährige politische Häftlinge, wie den zeitweiligen Lagerältesten Karl Thomä, setzte die SS als Funktionshäftlinge ein. Belegt sind relativ viele Fluchten und Fluchtversuche. Mitte Oktober 1944 belief sich die Zahl der flüchtigen Häftlinge auf 29, weitere folgten. Wiederergriffene Häftlinge schickte die SS zurück ins Hauptlager, wo sie in Strafkommandos kamen.

„In der Werkstatt, in der ich arbeitete, gab es eine Lokomotive, die repariert werden musste.“
Léon van Oyenbrugge
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Zwangsarbeit

Eingesetzt waren die Häftlinge vor allem in der großen und weitverzweigten Lokmaschinenhalle, in der sie beschädigte Lokomotiven reparieren mussten. Belegt ist zudem ihr Einsatz in der Kesselschmiede. Weitere Details sind nicht bekannt. Gearbeitet wurde von montags bis samstags in zwei Schichten von 7 bis 18:30 Uhr und von 18:30 bis 5:50 Uhr mit einer Pause von 45 bzw. 35 Minuten – sonntags in stark reduzierter Form von 7 bis 12 Uhr. Deutsche Vorarbeiter hatten die Aufsicht. Lediglich eine kleine Gruppe von Häftlingen erkannte die Werksleitung als Facharbeiter an. Für sie zahlte sie an die SS den höheren Tagessatz von sechs Reichsmark. Alle übrigen Häftlinge galten als billigere Hilfsarbeiter. Um die Arbeitsbereitschaft zu erhöhen, verteilte das Werk Schwerarbeiterzulagen und Geldprämien. Mit dem Geld konnten die Häftlinge Berichten zufolge Waren wie Ersatzseife, Gewürze oder manchmal auch Möhren, Rote Beete oder zusätzliche Getränke kaufen. Von den überhöhten Preisen profitierte wiederum die SS.

Krankheit und Tod

Im Lager existierte eine Krankenstation, in der sich seit August 1944 der junge Arzt Alexej Gurin aus Bobrynez in der Ukraine um die Kranken kümmerte. Am 31. Oktober 1944 etwa befanden sich fünf Häftlinge in stationärer Behandlung. 20 weitere waren als sogenannte Schonungskranke an diesem Tag von der Arbeit freigestellt. An welchen Krankheiten die Häftlinge litten oder ob es Arbeitsunfälle gab, ist nicht bekannt. Ein Häftling kam in Schwerte ums Leben: Weil er angeblich fliehen wollte, erschoss ein SS-Wachmann am 31. Mai 1944 den 45-jährigen Familienvater Sawastjan Pantschenko. Sein Leichnam wurde vermutlich im Krematorium in Dortmund eingeäschert. Weitere Todesfälle sind nicht dokumentiert. Einen polnischen und einen sowjetischen Häftling ließ die Lagerleitung Ende April 1944 zurück nach Buchenwald bringen. Nach rund zwei Wochen im Lagergefängnis richtete die SS sie, vermutlich im Keller des Buchenwalder Krematoriums, aus unbekannten Gründen hin.

Bewachung

Die SS-Wachmannschaft hatte ihre Unterkunft in unmittelbarer Nähe des Häftlingslagers. Ende April 1944 umfasste sie zunächst 51 SS-Männer. Mit dem Anwachsen der Häftlingszahl wurde auch die Wachmannschaft vergrößert. Mitte Oktober 1944 bestand sie schließlich aus 82 SS-Männern. Berichten zufolge war ein Teil der Männer erst 1944 von der Wehrmacht für den Dienst in den Konzentrationslagern zur SS versetzt worden. Als Kommandoführer fungierte ein Hauptscharführer namens John. Nach der Auflösung des Lagers in Schwerte wechselte er Ende Januar 1945 vermutlich als Kommandoführer in die Buchenwalder Außenlager in Abteroda (Männer- und Frauenaußenlager) bei Eisenach. Der Werkschutz des Reichsbahnausbesserungswerks unterstützte die SS-Männer vor allem bei der Suche nach flüchtigen Häftlingen. Strafrechtliche Verurteilungen wegen der Verbrechen im Außenlager Schwerte gab es in der Nachkriegszeit nicht.

Räumung

Ende November 1944 begann die SS, die Belegung des Lagers durch Rücküberstellungen nach Buchenwald zu verkleinern. Im Dezember folgten weitere Häftlingstransporte in das Hauptlager. Am 10. Januar 1945 arbeiteten die Häftlinge zum letzten Mal im Werk. Die vollständige Räumung des Lagers fand vermutlich am 12. Januar 1945 statt. Die Gründe für diese relativ frühe Auflösung sind nicht bekannt. Die noch verbliebenen Häftlinge brachte die SS per Bahn nach Buchenwald. Aufgrund von Bombardierungen und Schäden an den Bahngleisen dauerte die Fahrt mehrere Tage. Am 15. Januar wurden schließlich 201 eintreffende Häftlinge aus Schwerte in Buchenwald registriert. Die meisten von ihnen schickte die SS nach kurzer Zeit zur Zwangsarbeit in andere Außenlager.

Spuren und Gedenken

Das Ausbesserungswerk nahm nach Kriegsende seine Arbeit wieder auf. Bis in die 1980er-Jahre wurden hier Lokomotiven repariert, 1987 schloss das Werk. Das gesamte Gelände wird heute durch verschiedene Gewerbetreibende genutzt. Teile des Werks, wie die große Lokrichthalle, sind noch erhalten und stehen unter Denkmalschutz. Die Gebäude des ehemaligen Außenlagers wurden abgerissen. Seit 1985 stehen auch die noch existierenden Baufundamente und Teile der Lagerumgrenzung unter Denkmalschutz. 1989 konnte auf dem ehemaligen Lagergelände an der Schützenstraße/Emil-Rohrmann-Straße eine Gedenkstätte errichtet werden. Die künstlerische Gestaltung übernahm der Bildhauer Horst Wegener. Seitdem finden dort jährlich Gedenkveranstaltungen statt.

Link zum heutigen Standort auf GoogleMaps

Literatur:

Andrea Niewerth, Das KZ-Außenlager Buchenwald im Reichsbahnausbesserungswerk Schwerte. Eine Dokumentation, Schwerte 2020.

Alfred Hintz, Schwerte, in: Wolfgang Benz/Barbara Distel (Hg.), Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 3: Sachsenhausen, Buchenwald, München 2006, S. 572-574.

Marita Riese, Geschichte des KZ-Außenlagers Buchenwald im Reichsbahnausbesserungswerk Schwerte-Ost, Schwerte 1989.


Léon von Oyenbrugge nach seiner Einweisung in das KZ Buchenwald (Ausschnitt der Häftlingspersonalkarte), Mai 1944
Léon von Oyenbrugge nach seiner Einweisung in das KZ Buchenwald (Ausschnitt der Häftlingspersonalkarte), Mai 1944 ©Erkennungsdienst der SS (Arolsen Archives)
„In der Werkstatt, in der ich arbeitete, gab es eine Lokomotive, die repariert werden musste.“

Léon van Oyenbrugge

Léon von Oyenbrugge stammte aus Lubbeek bei Leuven in Belgien. Weil er einer Widerstandsbewegung angehörte, verhaftete die Gestapo den gelernten Autoschlosser im März 1944. Zwei Monate später wurde er aus dem Polizeihaftlager Breendonk nach Buchenwald deportiert. Ende Juni 1944 kam er in das Außenlager Schwerte. Ende Januar 1945 brachte die SS ihn in das Außenlager Bad Salzungen. Nach der Flucht von einem Todesmarsch kehrte der Familienvater im April 1945 in seine Heimat zurück.



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