Wieda (SS-Baubrigade III)

16. Mai 1944 – 28. Oktober 1944

Das Lager

Im Mai 1944 verlegte die SS die in Köln-Deutz und Duisburg stationierte SS-Baubrigade III in den Südharz. Die Häftlinge mussten am Bau der Helmetalbahn arbeiten, einer neuen Eisenbahnlinie, die Nordhausen mit Osterhagen verbinden sollte. Die kleine Ortschaft Wieda, heute ein Ortsteil von Walkenried in Niedersachsen, wurde zum neuen Hauptstandort der SS-Baubrigade III mit Verwaltung, Küche und Krankenstation. Das Lager, das anfangs auch unter der Bezeichnung Walkenried in den Dokumenten der SS auftauchte, lag am südlichen Ortsrand in einem leerstehenden Schützenhaus in der Nähe des Friedhofs. Es bestand aus drei großen Gebäuden, einer Garage und einem Schuppen und war mit Stacheldraht und Wachtürmen gesichert. Im größten Gebäude befanden sich der Schlaf- und Speisesaal und die Krankenstation. Das gegenüberliegende Gebäude beherbergte Aufenthaltsräume für die Häftlinge und die Küche, in der auch für die Nebenlager der SS-Baubrigade III in Mackenrode, Nüxei und Osterhagen gekocht wurde. Die Waschräume, eine Tischlerei und eine Schmiede waren in den übrigen Gebäuden untergebracht.

Kochkessel in der ehemaligen Küchenbaracke in Wieda, um 1947
Kochkessel in der ehemaligen Küchenbaracke in Wieda, um 1947. In den Kesseln wurde das Essen für die über 1.000 Häftlinge der SS-Baubrigade III gekocht. Zum Zeitpunkt der Aufnahme nutzen Arbeiter einer Fabrik die Kessel zur Herstellung von Schmierseife. ©KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora

Die Häftlinge

Mitte Mai 1944 brachte die SS aus Köln und Duisburg insgesamt 311 Häftlinge nach Wieda. Viele von ihnen kamen kurz darauf in die neuen Nebenlager der Baubrigade III in Mackenrode, Nüxei und Osterhagen. Bis Ende Oktober 1944 erhöhte sich die Zahl der Häftlinge in den vier Lagern der Baubrigade III durch Überstellungen aus Buchenwald auf über 1.100. Die Häftlinge stammten aus Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Jugoslawien, Lettland, den Niederlanden, Polen, der Sowjetunion und der Tschechoslowakei. Der Großteil von ihnen galt als politische Häftlinge; einige wurden als Sinti und Roma verfolgt. Bis zur Übernahme des Lagers durch das KZ Mittelbau Ende Oktober 1944 befanden sich in Wieda durchgängig nur rund 100 Häftlinge. An ihrer Spitze stand der deutsche Häftling Georg Pieper, den die SS als Lagerältesten eingesetzt hatte.

„Die Bewohner von Wieda spazierten abends oder sonntags um das Lager herum und betrachteten uns ein wenig wie merkwürdige Tiere."
Jean Lorge
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Zwangsarbeit

Die Mehrzahl der Häftlinge der SS-Baubrigade III wurde beim Bau der Helmetalbahn eingesetzt. Konkret bedeutete dies körperlich schwere Planierungs- und Gleisbauarbeiten an der neuen Bahntrasse. Einige Häftlinge arbeiteten im Lager, während eine kleine Gruppe zeitweise im rund 20 Kilometer entfernten Niedersachswerfen Baracken errichten musste. Für die tägliche Hin- und Rückfahrt zu Baustelle konnten sie einen Zug nutzen.

Krankheit und Tod

In Wieda befand sich im Hauptgebäude des Lagers die Krankenstation (Revier) für alle Häftlinge der Baubrigade III. Als Häftlingsarzt kümmerte sich dort der Mediziner René Autard aus dem französischen Roanne an der Loire um die Kranken und Verletzten. Mindestens ein Häftlingspfleger unterstützte ihn. Vor Ort war nur eine improvisierte Krankenversorgung möglich. Schwerer erkrankte Häftlinge oder jene, die eine zahnärztliche Behandlung benötigten, wurden in den Krankenbau in das Außenlager Dora gebracht. Lungenkrankheiten, Arbeitsunfälle oder allgemeine Körperschwäche galten als Hauptursache für eine Behandlung in der Krankenstation. Bis zur Übernahme des Lagers durch das KZ Mittelbau Ende Oktober 1944 sind mindestens fünf Todesfälle für das Außenlager Wieda belegt. Als Todesursachen gab die SS Unfälle, Herz- und Kreislaufschwäche oder Lungenerkrankungen an. Die Leichname lies die SS nach Dora oder nach Buchenwald bringen und dort einäschern.

Bewachung

Der Führer der SS-Baubrigade III war gleichzeitig Kommandoführer der Lagerstandorte der Baubrigade. Für den Zeitraum der Stationierung in Wieda war dies zunächst SS-Obersturmführer Karl Völkner (1898-1981) – seit 1932 Mitglied der SS, seit 1940 im Konzentrationslager Buchenwald tätig und seit Mitte September 1942 Führer der SS-Baubrigade III. Im Juni 1944 wurde er in das KZ Flossenbürg versetzt. Überlebende erinnerten sich später überwiegend positiv an ihn. Auf ihn folgte für einen Monat ein nicht näher identifizierter SS-Oberscharführer Freys. Ab Juli 1944 kommandierte SS-Obersturmführer Fritz Behrens die SS-Baubrigade III. Auch über ihn liegen keine weiteren Informationen vor. Die SS-Wachmannschaft der gesamten SS-Baubrigade III bestand aus etwa 200 Mann. Staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen mehrere Angehörige der Wachmannschaften der SS-Baubrigade III führten in den 1970er-Jahren zu keiner Verurteilung.

Übernahme durch das KZ Mittelbau

Das Außenlager Wieda und die übrigen Lager der Baubrigade III wurden Ende Oktober 1944 dem nun selbstständigen Konzentrationslager Mittelbau unterstellt. Somit waren sie keine Buchenwalder Außenlager mehr. Im Januar 1945 ging die Verwaltung der Außenlager in die Zuständigkeit des Konzentrationslagers Sachsenhausen über. Das Lager in Wieda existierte weiter bis zu seiner Räumung Anfang April 1945.

Spuren und Gedenken

Unmittelbar nach der Räumung des Außenlagers Wieda im April 1945 brannte das Schützenhaus, das Hauptgebäude des Lagers, aus. Nach dem Krieg entstand auf dem ehemaligen Lagergelände eine Schmierseifenfabrik. Einige Jahre später wurden die Baracken abgerissen. Heute befindet sich auf dem Gelände eine Wohnsiedlung. In der Nähe des ehemaligen Lagergeländes, auf dem heutigen Friedhof, stehen ein Gedenkstein und eine Informationstafel.

Link zum heutigen Standort auf GoogleMaps
Link zum Standort des Gedenksteins auf GoogleMaps

Gedenkstein und Informationstafel auf dem ehemaligen Lagergelände, 2025. Foto: Lars Deiters
Gedenkstein und Informationstafel auf dem ehemaligen Lagergelände, 2025. Foto: Lars Deiters ©Gemeinde Walkenried

Literatur:

Jens-Christian Wagner, Wieda (SS-Baubrigade III), in: Wolfgang Benz u. Barbara Distel (Hg.), Der Ort des Terrors. Die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 7, München 2006, S. 339 f.

Firouz Vladi (Hg.), Der Bau der Helmetalbahn. Ein Bericht von der Eisenbahngeschichte, den KZ-Außenlagern der SS-Baubrigaden, Zwangsarbeit im Südharz in den Jahren 1944-45 und den Evakuierungsmärschen im April 1945, Duderstadt 2000.


Jean Lorge, um 1942
Jean Lorge, um 1942 ©KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora
„Die Bewohner von Wieda spazierten abends oder sonntags um das Lager herum und betrachteten uns ein wenig wie merkwürdige Tiere."

Jean Lorge

Jean Lorge kam am 2. Juli 1925 in Poligny im französischen Département Jura als ältestes von neun Kindern zur Welt. Die Familie lebte in Saint-Claude, wo seine Eltern ein Geschäft führten. Bei einer Razzia verhaftete die Gestapo am Ostersonntag 1944 in Saint-Claude über 300 Männer zwischen 18 und 45 Jahren, unter ihnen den Studenten Jean Lorge. Mitte Mai 1944 wurden sie nach Buchenwald deportiert. Nach kurzer Zeit im Kleinen Lager von Buchenwald schickte die SS die Männer aus Saint-Claude in die Außenlager. Jean Lorge kam nach Wieda, später nach Mackenrode und Dora. Nach einem Todesmarsch erlebte er Ende April 1945 in Ravensbrück die Befreiung. Er kehrte in seine Heimat zurück, gründete eine Familie und arbeitete im Betrieb seines Schwiegervaters. Jean Lorge starb 2022 mit 97 Jahren in Saint-Claude.



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